Ethiker Schlagnitweit gegen "Schlechtreden" von Sozialpartnerschaft
Ein "Schlechtreden des Kompromisses und der Sozialpartnerschaft" ortet aktuell der Sozialethiker und Direktor der Katholischen Sozialakademie (ksoe), Markus Schlagnitweit. Im Hinblick auf die schwierigen Kollektivvertragsverhandlungen im Handel und bei den Metallern sagte Schlagnitweit im Kathpress-Interview: "Ich habe den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft der Kompromiss sehr lange schlechtgeredet wurde, allein schon, indem er als kleinster gemeinsamer Nenner denunziert wurde." Dem gegenüber stellte er den Kompromiss als Wesen der Politik, die legitimerweise divergierende Interessen miteinander in einen fairen Ausgleich zu bringen hat.
Hintergrund sind die stockenden Kollektivvertrags-Verhandlungen bei den Handelsangestellten, am Donnerstag begannen Warnstreiks in rund 300 Betrieben; diese sollen bis 3. Dezember dauern. Die Metallindustrie hat nach acht Runden und Streiks eine "vorläufige" Einigung in den Kollektivvertragsverhandlungen auf ein Plus von 8,6 Prozent gebracht.
Kritik übte der katholische Sozialethiker am "Schlechtreden" der Tradition der Sozialpartnerschaft von verschiedenen politischen Seiten. Zwar seien die Verhandlungen aktuell hart, es erscheine ihm aber "das Vernünftigste zu sein, einfach am Verhandlungstisch zu bleiben, um wirklich zu verhandeln". Von Drohungen oder gegenseitigen Denunzierungen sollte Abstand genommen werden, so Schlagnitweit.
Gegen gesellschaftliches "Ja-Nein"-Denken
Generell ortete er eine gesellschaftliche Tendenz zu "Ja oder Nein"-Antworten, die keinen Diskurs, geschweige denn faire und vernünftige Kompromisse mehr zulassen würden. Als einen möglichen Grund nannte der ksoe-Direktor die Algorithmen von Sozialen Medien, "die einen unterbewusst dazu bringen, immer stärker zu einfachen Lösungen zu tendieren". Gesellschaftlich sei dies problematisch, da es nicht darum ginge, die eigenen Interessen durchzusetzen, sondern auch auf die Interessen der anderen einzugehen.
Als fragwürdig bezeichnete der katholische Priester und ksoe-Direktor die Praxis von Aktienunternehmen, vor Abschluss der KV-Verhandlungen die Gewinne an Aktionäre auszuschütten. "Müsste nicht hier eine andere Reihenfolge eingehalten werden? Zuerst sollten die Arbeitnehmer, die an dem Erfolg des Unternehmens maßgeblichen Anteil haben, ihren Abschluss erhalten, dann erst die Investoren und Aktionäre", so der Vorschlag Schlagnitweits.
Angesichts der heuer langwierigen KV-Verhandlungen meinte der Sozialethiker, dass die "sehr ungewohnt hohe Inflation" die Rahmenbedingungen der Unternehmen wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stark beeinflusst hätte. Dadurch sei es auch innerhalb Sparten zu starken Divergenzen gekommen "zwischen Unternehmen, die sehr gut dastehen und Unternehmen, die sich einen hohen Lohnabschluss wahrscheinlich nicht leisten können". Er verwies dabei auf den Vorschlag von Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), die sogenannte Benya-Formel, nach der sich eine Lohnerhöhung aus der Abgeltung der Inflation und dem Anteil am Produktivitätszuwachs zusammensetzt, zu überdenken.
Quelle: kathpress