UN-Bericht zum Kinderschutz unvollständig
Der vom UN-Kinderrechtskomitee am Mittwoch veröffentlichte Bericht zum Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch von Minderjährigen enthält auch zahlreiche Unzulänglichkeiten, irreale Annahmen und Kompetenzüberschreitungen. Zu diesem Urteil kommen kirchliche Experten in Reaktion auf den Bericht. Erzbischof Silvano Maria Tomasi, ständiger Beobachter des Heiligen Stuhles bei der UNO in Genf, zeigte sich im Gespräch mit "Radio Vatikan" erstaunt darüber, dass der Bericht die Neuerungen der vergangenen zwei Jahre beim Kinderschutz in der Kirche offenbar gar nicht berücksichtigt habe.
Tomasi hatte sich erst vor zwei Wochen einer Anhörung zu dem Thema vor der UNO gestellt. "Das schien mir ein konstruktiver Dialog, und ich denke, so sollte es auch weiterhin sein. Nach dem Eindruck, den die Delegation des Heiligen Stuhls beim Treffen mit dem UN-Kinderrechtskomitee hatte, sind wir nun bei dem Text mit diesen Empfehlungen versucht zu sagen, dass dieser Text wohl vorher geschrieben wurde", so Tomasi wörtlich.
In dem Bericht blieben nicht nur die jüngeren Kinderschutzmaßnahmen des Heiligen Stuhles unreflektiert, sondern auch jene der Bischofskonferenzen, sagt Tomasi. Die Fakten dürften nicht verdreht werden. "Wir können jetzt nicht in zwei Minuten auf alle Behauptungen antworten, die in diesem Abschlussbericht aufgestellt werden und die zum Teil nicht korrekt sind. Ich bin mir aber sicher, dass der Heilige Stuhl in Ruhe antworten wird. Wir haben die UN-Kinderschutzkonvention unterzeichnet und wollen sie auch einhalten."
"Kirche hat reagiert"
Mit Blick auf Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche betonte Tomasi erneut die eindeutige Position des Heiligen Stuhls dazu: "Es geht immerhin um 40 Millionen Fälle von Kindesmissbrauch weltweit. Leider gehen einige Fälle von Missbrauch auf das Konto von Kirchenleuten, selbst wenn das mit Blick auf die Gesamtzahl der Fälle ein geringer Teil ist. Die Kirche hat darauf reagiert und tut das weiterhin. Wir müssen auf unserer Politik der Transparenz und Intoleranz von Missbrauch beharren, weil schon jeder einzelne Fall von Kindesmissbrauch ein Fall zu viel ist."
Ungereimtheiten ortet Erzbischof Tomasi u.a. beim Thema Lebensschutz. So heiße es etwa in der Präambel der vom Heiligen Stuhl unterschriebenen Konvention, Kinder seien vor und nach ihrer Geburt zu schützen. Gleichzeitig werde dem Heilige Stuhl in dem UN-Bericht nahegelegt, seine Position zur Abtreibung zu überdenken. Das Kirchenrecht solle geändert werden und die Kirche solle zulassen, dass unter bestimmten Umständen Abtreibung zulässig ist.
Tomasi dazu: "In gewisser Weise hat das Kinderrechtskomitee den Vereinten Nationen keinen guten Dienst erwiesen, indem es versucht, mit dem Vatikan über Positionen der Lehre zu verhandeln, die nicht verhandelbar sind. Das sind Werte und Prinzipien, die im Interesse des Gemeinwohls und der Menschheitsfamilie stehen. Es ist etwas traurig zu sehen, dass das Komitee offensichtlich nicht ganz die Natur und die Funktionen des Heiligen Stuhls erfasst hat."
Null-Toleranz-Politik
In die gleiche Kerbe wie Erzbischof Tomasi schlug auch der stellvertretende Rektor der Päpstlichen Universität Gregoriana, der deutsche Jesuit Hans Zollner. Insbesondere im Kampf gegen sexuellen Missbrauch hat der Vatikan laut Zollner "in den letzten 13 Jahren" eine Null-Toleranz-Politik eingeleitet, die im Vergleich zu anderen Staaten in einigen Punkten zeitweise beispiellos war. Diese Anstrengungen würden in dem immerhin 16-seitigen UN-Bericht wenig berücksichtigt, so Zollner im "Radio Vatikan"-Interview: "Ich habe den Eindruck, dass es in dem Bericht um viele Dinge geht, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten falsch gelaufen sind, wo es auch viel gab, was die Kirche nicht umgesetzt hat. Aber die jüngsten Bemühungen des Heiligen Stuhls scheinen mir nicht in genügendem Maß widergespiegelt zu sein: die Bemühungen um mehr Transparenz, den Versuch, das Kirchenrecht neu zu definieren und neue Normen einzuführen."
Lobend anerkannt wird im Bericht zwar die geplante Einrichtung einer vatikanischen Kinderschutzkommission, welche die Glaubenskongregation unterstützen soll. Auch hebt die Kommission die weltweite Basisarbeit der katholischen Kirche im Bereich Kinderschutz hervor. Insgesamt stellt die UNO dem Heiligen Stuhl in ihrem Bericht aber ein schlechtes Zeugnis aus: Die Kinderschutzarbeit werde in der Praxis nicht systematisch genug weltweit umgesetzt, auch das Kirchenrecht müsse hier nachgebessert werden. Zum Thema sexueller Missbrauch zählt der Bericht eine ganze Reihe Verfehlungen auf, die sich auf die katholische Weltkirche beziehen: Missbrauchsfälle seien auf höchster Ebene vertuscht worden, Täter lediglich versetzt worden und straflos geblieben und zivile Behörden nicht informiert worden.
Vorwürfe beinhalten nichts Neues
All das sei richtig, urteilte Zollner, wenn auch heute nicht unbedingt mehr gültig. Zu den zitierten Fällen habe der Heilige Stuhl klar Stellung bezogen. Zollner: "Das ist alles unumwunden auch mehrfach schon gesagt worden, es ist ohne Umschweife gesagt worden, dass es da großes Unrecht und Verbrechen gegeben hat. Insofern sind die Punkte, die im UN-Bericht genannt werden, keine neuen Sachen."
Nachbesserungsbedarf für den Heiligen Stuhl sah der Jesuit beim Tempo der Bearbeitung von Missbrauchsfällen an der Glaubenskongregation - diese sei durch die Menge der Fälle teilweise überfordert gewesen - und bei der Prozessordnung: diese müsse transparenter werden. Auch müsse dringend die Frage der Mitverantwortung der Bischöfe und Ordensoberen bei Missbrauchsfällen in den jeweiligen Ortskirchen geklärt werden, um Vertuschung und Straflosigkeit in Zukunft unterbinden zu können: "Welche Mitverantwortung haben die Bischöfe oder die höheren Ordensverantwortlichen, wenn sie wussten von einem Missbrauch, der durch einen Priester geschehen ist und nicht entsprechend den kirchlich und staatlichen Normen gehandelt haben? Das ist einer der wichtigsten Punkte, die unbedingt gelöst werden müssen, weil das ein ständiger Skandal ist und vor allem auch in USA eine große straf- und zivilrechtliche Implikation hat."
Unrealistische Forderungen
Einige Forderungen des UN-Kinderrechtskomitees beurteilte der Jesuit im Gespräch mit "Radio Vatikan" auch als unrealistisch. Etwa jene nach einem "Mechanismus auf hoher Ebene", der den Schutz der Kinderrechte weltweit in allen Einheiten - vom päpstlichen Rat bis hin zum jeweiligen Ortspfarrer - garantieren soll. Das UN-Komitee gehe wohl vom Trugschluss aus, dass die katholische Kirche problemlos "in allem durchregieren und durchgreifen" könne, so Zollner: "Wenn man also in Rom auf den Knopf drückt, dann soll das so auch in der Demokratischen Republik Kongo und Brasilien funktionieren. So kann es aber nicht funktionieren, weil wir in der internationalen Perspektive sehen müssen, dass es ganz unterschiedliche Rechtskulturen gibt, dass es auch Rechtsvorschriften gibt, die unterschiedlich sind und dass die katholische Kirche nur das tun kann, was der jeweilige Staat fordert."
Nach Maßgabe der Glaubenskongregation seien die Verantwortungsträger der Ortskirchen dazu angehalten, mit den zivilen Behörden des jeweiligen Landes zusammenzuarbeiten und sich an das jeweils gültige Strafrecht zu halten, erläuterte der Jesuit. Dieses variiert aber von Staat zu Staat: So gibt es in einigen Ländern eine Anzeigepflicht, in anderen aber nicht, so etwa in Deutschland oder Italien.
Kinderschutz oft Fremdwort
Ein zweiter Punkt: Kinderschutz sei in den Ländern der Welt, in denen die katholische Kirche aktiv sei, teilweise ein Fremdwort. Von einem wirksamen einheitlichen Vorgehen könne hier also keine Rede sein. In vielen Ländern - vor allem in Afrika und Asien - leiste gerade die katholische Kirche in diesem Bereich Pionierarbeit. Zollner: "Die katholische Kirche bemüht sich und ist in vielen Ländern dieser Welt vielleicht die einzige Großorganisation, die in diesen Ländern überhaupt etwas zum Schutz von Kindern tut."
Während der UN-Bericht auf der einen Seite vom Heiligen Stuhl ein weltweit griffiges Vorgehen für den Kinderschutz einfordert, bleibt das Papier für Zollner im weltweiten Blick auf sexuellen Missbrauch selbst zurück: "Es werden Einzelfälle genannt, meines Erachtens sehr zufällig. Denn wenn man die weltweite Situation ansieht, könnte man noch sehr viele Fälle nennen. Es werden einzelne Länder herausgegriffen, etwa Irland, wo es einen Riesenskandal gegeben hat. Aber andere Länder etwa in Afrika oder Asien kommen überhaupt nicht vor. Da sieht man, wie auch so eine UN-Kommission ihre eigenen Grenzen hat."
Insgesamt nahm der Jesuit den UN-Bericht als konstruktive Kritik auf. Er plädierte dafür, entschieden auf dem Weg der Missbrauchsbekämpfung weiterzugehen.