"Der Papst ist ein normaler Mensch"
"Ich erzähle euch von meinem ersten Jahr als Papst": Unter dieser Überschrift ist am Aschermittwoch in der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" ein Interview mit Papst Franziskus erschienen. Im Gespräch mit dem "Corriere"-Chefredakteur Ferruccio De Bortoli zog Franziskus dabei eine Bilanz des Jahres seines Pontifikats und beantwortete auch sehr persönliche Fragen.
Eine Dokumentation des Interviews in einer Arbeitsübersetzung von "Radio Vatikan" und "Kathpress".
Corriere: Heiliger Vater, Sie telefonieren gelegentlich mit Leuten, die Sie um Hilfe bitten. Manchmal glauben die gar nicht, dass sie es sind.
Papst Franziskus: Ja, das ist geschehen. Wenn jemand anruft, dann weil er reden will, eine Frage stellen oder um Rat bitten. Als Priester in Buenos Aires war das einfacher für mich. Die Gewohnheit ist mir geblieben. Ein Dienst. Das fühle ich in mir. Natürlich ist das jetzt nicht mehr so leicht, weil mir jetzt so viele Leute schreiben.
Corriere: Gibt es einen Kontakt, eine Begegnung, an die Sie sich besonders gerne erinnern?
Papst: Eine Witwe von achtzig Jahren, die ihren Sohn verloren hatte. Sie schrieb mir. Und jetzt rufe ich sie einmal im Monat an. Sie ist glücklich. Ich mache den Pfarrer. Das gefällt mir.
Corriere: Wie sind Ihre Beziehungen zu Ihrem Vorgänger? Haben Sie Benedikt XVI. schon einmal um Rat gefragt?
Papst: Ja. Der emeritierte Papst ist keine Statue in einem Museum. Er ist eine Institution. Wir waren das nicht gewöhnt. Vor sechzig oder siebzig Jahren gab es keinen "emeritierten Bischof". Das kam nach dem [Zweiten Vatikanischen, Anm.] Konzil. Heute ist das eine Institution. Dasselbe muss mit dem emeritierten Papst geschehen. Benedikt ist der erste, und vielleicht wird es noch weitere geben. Das wissen wir nicht. Er ist diskret, bescheiden, er will nicht stören. Wir haben darüber geredet und zusammen entschieden, dass es besser ist, wenn er Leute sieht, hinausgeht und am Leben der Kirche teilnimmt. Einmal kam er zur Segnung der Statue des heiligen Erzengels Michael, dann zum Mittagessen nach Santa Marta; und, nach Weihnachten, habe ich ihn eingeladen am Konsistorium teilzunehmen, und er hat angenommen. Seine Weisheit ist ein Geschenk Gottes. Einige mögen sich gewünscht haben, dass er sich in eine Benediktinerabtei weit vom Vatikan entfernt zurückzieht. Ich habe an die Großeltern und ihre Weisheit gedacht: Ihre Ratschläge geben der Familie Kraft, und sie verdienen es nicht, in einem Altersheim zu landen.
Corriere: Ihre Art die Kirche zu leiten erscheint uns so: Sie hören allen zu und entscheiden ganz allein, ein wenig wie der General der Jesuiten. Ist der Papst ein einsamer Mensch?
Papst: Ja und nein. Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Der Papst ist bei seiner Arbeit nicht allein, weil viele ihn begleiten und beraten. Er wäre allein, wenn er entscheiden würde, ohne andere anzuhören oder nur vortäuschen würde zuzuhören. Aber es gibt den einen Moment, wenn es um eine Entscheidung geht, um eine Unterschrift, dann ist er allein mit seinem Sinn für Verantwortung.
Corriere: Sie haben Neuerungen eingeführt und manche Haltungen im Klerus kritisiert, die Kurie in Bewegung versetzt. Hat sich die Kirche schon so verändert, wie Sie das vor einem Jahr gewünscht haben?
Papst: Ich hatte im vergangenen März keinerlei Projekt für eine Änderung der Kirche. Sagen wir so: Ich habe nicht mit diesem Übergang von einer Diözese in eine andere gerechnet. Als ich anfing zu regieren, versuchte ich, das in die Praxis umzusetzen, was in der Debatte der Kardinäle bei den verschiedenen Kongregationen (vor dem Konklave, Anm.) aufgetaucht war. In meinem Handeln warte ich darauf, dass mir der Herr die Inspiration gibt. Dabei habe ich auch die geistliche Situation der Kurie im Auge gehabt. Es sollte mehr Aufmerksamkeit auf jährliche geistliche Exerzitien gelegt werden. Alle haben ein Recht darauf, fünf Tage in Schweigen und Meditation zu verbringen. Demgegenüber war es früher so, dass sie sich drei Predigten anhörten am Tag anhörten, aber gleich darauf zu arbeiten anfingen.
Corriere: Zärtlichkeit und Barmherzigkeit sind die Essenz Ihrer spirituellen Botschaft...
Papst: ... und des Evangeliums. Das ist das Zentrum des Evangeliums. Ansonsten kann man Jesus Christus nicht verstehen, die Zärtlichkeit des Vaters, der ihn gesandt hat, um uns zuzuhören, uns zu heilen, um uns zu retten.
Corriere: Aber ist diese Botschaft verstanden worden? Sie haben gesagt, dass der "Franziskus-Hype" nicht lange dauern wird. Gibt es etwas an Ihrem Bild in der Öffentlichkeit, das Ihnen nicht gefällt?
Papst: Ich bin gern unter Menschen, bei denen, die leiden, ich besuche gerne die Gemeinden: Was ich nicht mag, sind ideologische Interpretationen, jene gewisse Mythologie, die sich um Papst Franziskus rankt. Wenn beispielsweise gesagt wird, dass dieser nachts den Vatikan verlässt, um den Obdachlosen in der Via Ottaviano etwas zu essen zu bringen. Das ist mir nie in den Sinn gekommen. Sigmund Freud sagte, wenn ich mich nicht irre, dass jede Idealisierung auch ein Stück Aggression verbirgt. Den Papst als eine Art Superman darzustellen, eine Art Star, scheint mir beleidigend. Der Papst ist ein Mensch, der lacht, weint, ruhig schläft und wie jeder Mensch Freunde hat. Ein normaler Mensch.
Corriere: Haben Sie Sehnsucht nach Argentinien?
Papst: Die Wahrheit ist, dass ich keine Sehnsucht habe. Ich würde gerne meine Schwester besuchen, weil sie krank ist, die letzte von uns fünf. Ich würde sie gerne sehen, aber das rechtfertigt keine Reise nach Argentinien: Ich rufe sie an, das reicht. Ich plane nicht, vor 2016 dorthin zu fahren, denn ich war schon in Lateinamerika, in Rio. Jetzt muss ich ins Heilige Land reisen, nach Asien und dann nach Afrika.
Corriere: Sie haben gerade Ihren argentinischen Reisepass erneuert. Sie sind immer noch ein Staatsoberhaupt.
Papst: Ich habe ihn erneuert, weil er fast abgelaufen war.
Corriere: Haben Ihnen diese Vorwürfe des Marxismus, vor allem aus Amerika, nach der Veröffentlichung von "Evangelii gaudium" missfallen?
Papst: Überhaupt nicht. Ich habe die marxistische Ideologie nie geteilt, weil sie nicht wahr ist, aber ich habe viele tapfere Leute kennengelernt, die sich zum Marxismus bekannt haben.
Corriere: Die Skandale, die das Leben der Kirche getrübt haben, liegen zum Glück hinter uns. Es gab einen öffentlichen Aufruf an Sie, zu dem heiklen Thema Kindesmissbrauch, veröffentlicht von "Il Foglio" und unterzeichnet u.a. von (den Philosophen, Anm.) Besancon und Scruton, dass Sie Ihre Stimme erheben sollen, auch gegen alle Fanatismen und gegen ein mangelndes Bewusstsein der säkularisierten Welt über die Bedeutung der Kindheit, über den fehlenden Respekt ihr gegenüber.
Papst: Ich will dazu zwei Dinge sagen: Die Missbrauchsfälle sind furchtbar, weil sie tiefste Wunden hinterlassen. Benedikt XVI. war sehr mutig und hat einen Weg geöffnet. Die Kirche hat auf diesem Weg viel getan. Vielleicht mehr als alle anderen. Die Statistiken zum Phänomen der Gewalt gegen Kinder sind beeindruckend, aber sie zeigen auch klar, dass die große Mehrheit der Missbrauchsfälle im Familien- und Nachbarschaftsumfeld geschehen. Die katholische Kirche ist vielleicht die einzige öffentliche Institution, die sich mit Transparenz und Verantwortung bewegt hat. Niemand anderer hat mehr getan. Und doch ist die Kirche die einzige, die angegriffen wird.
Corriere: Heiliger Vater, Sie sagen: "Die Armen evangelisieren uns." Der Fokus auf die Armut, die stärkste Ausprägung ihrer pastoralen Botschaft, wird von einigen Beobachtern mit "Pauperismus" verwechselt. Das Evangelium verurteilt Reichtum an sich nicht und Zachäus war wohlhabend und wohltätig.
Papst: Das Evangelium verurteilt die Anbetung von Reichtum. "Pauperismus" ist eine bedenkliche Interpretationen. Im Mittelalter gab es viele pauperistische Strömungen. Der heilige Franziskus hatte die Genialität, das Thema der Armut in den evangelischen Weg einzubetten. Jesus sagt, dass man nicht zwei Herren dienen kann, Gott und Reichtum. Wenn beim Jüngsten Gericht über uns geurteilt wird, zählt unsere Nähe zur Armut. Die Armut entfernt von der Götzenanbetung, sie öffnet der Vorsehung die Türen. Zachäus verschenkt die Hälfte seines Reichtums an die Armen. Und wer die Kornkammern mit seinem Egoismus gefüllt lässt, dem präsentiert der Herr am Ende die Rechnung. Ich habe in "Evangelii gaudium" deutlich ausgedrückt, was ich zum Thema Armut denke.
Corriere: Sie nennen die Globalisierung, vor allem im Finanzbereich, eines der Übel, die die Menschheit angreifen. Aber die Globalisierung hat auch Millionen Menschen aus dem Elend befreit. Sie hat Hoffnung gegeben, ein seltenes Gefühl, das nicht mit Optimismus verwechselt werden darf.
Papst: Das stimmt, die Globalisierung hat viele Menschen aus der Armut gerettet, aber auch viele andere zum Hungertod verurteilt, weil sie mit diesem Wirtschaftssystem selektiv wird. Die Globalisierung, wie sie die Kirche vor Augen hat, ähnelt nicht einer Kugel, auf der jeder Punkt den gleichen Abstand zum Zentrum hat, wo somit die Besonderheit der Völker verloren geht. In der Sicht der Kirche soll die Globalisierung den kulturellen, sprachlichen und religiösen Besonderheiten und der Identität jedes Volkes Rechnung tragen. Sie soll entsprechend vielflächig angelegt sein. Die derzeitige Globalisierung, vor allem die finanzielle, produziert aber ein Einheitsdenken, ein schwaches Denken. Denn im Mittelpunkt steht nicht mehr die menschliche Person, sondern das Geld.
Corriere: Das Thema Familie war zentrale bei den Beratungen des Rats der acht Kardinäle. Seit dem Schreiben "Familiaris Consortio" von Johannes Paul II. haben sich viele Dinge stark geändert. Im Bereich der Familie werden von der Kirche große Neuerungen erwartet. Sie selbst haben über die Geschiedenen gesagt: Man sollte sie nicht verurteilen, sondern ihnen helfen.
Papst: Das ist ein langer Weg, den die Kirche zurücklegen muss. Ein Prozess, den der Herr will. Drei Monate nach meiner Wahl wurden mir Themen für die Synode vorgelegt. Es ging darum, was Jesus Menschen von heute sagen würde. Am Ende wurde entschieden, über die Familie zu diskutieren, die eine sehr ernste Krise durchmacht. Es ist schon schwer, auch nur eine Familie zu gründen. Die jungen Leute heiraten kaum. Es gibt viele Familien in Trennung, deren Projekt eines gemeinsamen Lebens gescheitert ist. Die Kinder leiden sehr. Wir müssen eine Antwort geben. Aber darüber müssen wir tief nachdenken. Das ist es, was das Konsistorium und die Synode machen. Man muss vermeiden, an der Oberfläche zu bleiben. Die Versuchung, jedes Problem mit der Kasuistik zu lösen, ist ein Irrtum, eine Vereinfachung grundlegender Dinge, wie es die Pharisäer taten, eine sehr oberflächliche Theologie. Erst vor dem Hintergrund einer tiefen Reflexion können wir ernsten Sondersituationen, auch jene der Geschiedenen, mit pastoraler Tiefe gegenübertreten.
Corriere: Warum hat der Vortrag von Kardinal Kasper beim letzten Konsistorium unter den Kardinälen auch so viel Widerspruch hervorgerufen? Wie, glauben Sie, kann die Kirche in den nächsten zwei Jahren (bis zur Bischofssynode zum Thema Familie im Oktober 2015) den Weg so zurücklegen, dass sie zu einem breiten und guten Konsens kommt?
Papst: Kardinal Kasper hat einen schönen und tiefgehenden Vortrag gehalten, der bald auf Deutsch veröffentlicht wird, und fünf Punkte angesprochen, deren letzter die Wiederverheirateten waren. Ich wäre besorgt gewesen, wenn es im Konsistorium keine intensive Debatte gegeben hätte, das hätte nichts gebracht. Die Kardinäle wussten, dass sie sagen konnten, was sie wollten, und sie haben viele verschiedene Gesichtspunkte präsentiert, die bereichern. Der brüderliche und offene Austausch lässt das theologische und pastorale Denken wachsen. Davor habe ich keine Angst, im Gegenteil, das suche ich!
Corriere: In einer nicht allzu fernen Vergangenheit sprach man von sogenannten "nicht verhandelbaren Werten", vor allem in der Bioethik und der Sexualmoral. Sie haben diese Formel nicht mehr verwendet. Wollen Sie damit einen Stil anzeigen, der weniger auf Vorschriften setzt und mehr Respekt vor dem persönlichen Gewissen hat?
Papst: Ich habe diesen Ausdruck von nicht verhandelbaren Werten nie verstanden. Werte sind Werte, Schluss. Ich kann doch auch nicht sagen, von den Fingern einer Hand wäre einer weniger nützlich als der andere. Darum verstehe ich nicht, in welchem Sinne es verhandelbare Werte geben könnte. Ich habe in "Evangelii gaudium" geschrieben, was ich zum Thema Leben sagen will.
Corriere: Viele Länder treffen Regelungen zu eingetragenen Partnerschaften. Ist das ein Weg, dem die Kirche zustimmen kann? Und bis zu welchem Punkt?
Papst: Die Ehe wird zwischen Mann und Frau geschlossen. Der säkulare Staat will Partnerschaften anerkennen, um bestimmte Situationen des Zusammenlebens zu regeln. Dabei ist das Motiv eine gestiegene Notwendigkeit, wirtschaftliche Aspekte unter den Menschen, z.B. die Frage der Krankenversicherung, zu regeln. Es geht um Pakte des Zusammenlebens unterschiedlicher Art, deren verschiedene Formen ich nicht aufzählen könnte. Man muss die einzelnen Fälle sehen und in ihrer Verschiedenheit beurteilen.
Corriere: Wie kann man die Rolle der Frau in der Kirche fördern?
Papst: Auch hier hilft Spitzfindigkeit nicht weiter. Es stimmt, dass Frauen an kirchlichen Entscheidungspositionen mehr präsent sein können und sollen. Ich würde das aber als aufgabenbezogene Frauenförderung bezeichnen. Damit allein kommt man aber nicht weiter. Wir müssen vielmehr bedenken, dass "Kirche" einen weiblichen Artikel hat. Se ist von ihrem Ursprung her weiblich. Der große Theologe Hans Urs von Balthasar hat viel über dieses Thema gearbeitet: Das marianische Prinzip leitet die Kirche, zusammen mit dem Petrusprinzip. Die Jungfrau Maria ist wichtiger als jeder Bischof und jeder Apostel. Die theologische Vertiefung ist im Gang.
Corriere: Kann die Kirche ein halbes Jahrhundert nach der (Enzyklika, Anm.) "Humanae vitae" von Paul VI. das Thema der Geburtenkontrolle noch einmal aufgreifen? Kardinal Martini, ihr Mitbruder, meinte, der Moment sei gekommen.
Papst: Alles hängt davon ab, wie man "Humanae vitae" interpretiert. Paul VI. selbst riet am Schluss den Beichtvätern, viel Erbarmen und Aufmerksamkeit für die konkreten Lebenslagen walten zu lassen. Aber seine Genialität war prophetisch, er hatte den Mut, sich gegen die Mehrheit zu stellen, die moralische Disziplin zu verteidigen, eine kulturelle Bremse zu ziehen, sich dem gegenwärtigen und künftigen Neomalthusianismus zu widersetzen. Die Frage ist nicht, ob man die Lehre ändert, sondern ob man in die Tiefe geht und dafür sorgt, dass die Pastoral die einzelnen Lebenslagen und das, wozu die Menschen jeweils imstande sind, berücksichtigt. Auch darüber wird bei der Synode gesprochen werden.
Corriere: Die Wissenschaft schreitet voran und gestaltet die Grenzen des Lebens neu. Hat es einen Sinn, Leben in vegetativem Zustand künstlich zu verlängern? Kann die Patientenverfügung eine Lösung sein?
Papst: Ich bin kein Experte in bioethischen Fragen. Und ich fürchte, jeder Satz von mir könnte da missverstanden werden. Die traditionelle Lehre der Kirche sagt, dass niemand verpflichtet ist, außerordentliche Mittel einzusetzen, wenn man weiß, dass das die letzte Phase ist. In meiner Pastoral habe ich in diesen Fällen immer Palliativbehandlung empfohlen. In spezifischeren Fällen sollte man, wenn nötig, den Rat der Spezialisten einholen.
Corriere: Wird Ihre bevorstehende Reise ins Heilige Land zu einer Übereinkunft über Kommuniongemeinschaft mit den Orthodoxen führen, wie sie Paul VI. und Athenagoras vor 50 Jahren beinahe beschlossen hätten?
Papst: Wir alle erwarten voller Ungeduld, Ergebnisse "abschließen" zu können. Aber der Weg zur Einheit mit den Orthodoxen besteht vor allem darin, gemeinsam zu gehen und zu arbeiten. In Buenos Aires kamen verschiedene Orthodoxe in die Katechesekurse. Ich habe Weihnachten und den 6. Jänner zusammen mit ihren Bischöfen gefeiert, die manchmal auch in unseren diözesanen Ämtern Rat einholten. Ich weiß nicht, ob die Geschichte wahr ist, die über Athenagoras erzählt wird, der Paul VI. vorgeschlagen haben soll, gemeinsam weiterzugehen und alle Theologen auf eine Insel zu schicken, wo sie dann untereinander diskutieren sollten. Das ist ein Scherz, das Wichtige ist aber, dass wir zusammen gehen. Die orthodoxe Theologie ist ausgesprochen reich, und ich glaube, sie haben in diesem Moment bedeutende Theologen. Ihr Bild von Kirche und Synodalität ist etwas Wunderbares.
Corriere: In ein paar Jahren wird China die größte Weltmacht sein, und der Vatikan hat keine Beziehungen zu China. Matteo Ricci war wie Sie Jesuit.
Papst: Wir sind China nahe. Ich habe dem Präsidenten Xi Jinping einen Brief geschrieben, als er gewählt wurde, drei Tage nach mir. Und er hat mir geantwortet. Es gibt einige Beziehungen. Es ist ein großes Volk, das ich liebe.
Corriere: Heiliger Vater, warum reden Sie nie von Europa?
Papst: Erinnern Sie sich an den Tag, als ich von Asien gesprochen habe? Was habe ich denn gesagt? Ich habe gar nicht von Asien gesprochen bisher, und auch nicht von Afrika, und eben auch nicht von Europa! Nur von Lateinamerika, als ich in Brasilien war und als ich die Kommission für Lateinamerika empfangen habe. Es gab einfach noch keine Gelegenheit, um von Europa zu reden. Das wird schon noch kommen.
Corriere: Welches Buch lesen Sie gerade?
Papst: "Pietro e Maddalena" von Damiano Marzotto, über die weibliche Seite der Kirche. Ein wunderbares Buch.
Corriere: Schauen Sie sich Filme an? "La Grande Bellezza" hat einen Oscar gewonnen. Werden sie sich den Film ansehen?
Papst: Das weiß ich nicht. Der letzten Film, den ich gesehen habe, war "La vita e bella" von Roberto Benigni. Davor hatte ich "La Strada" von Federico Fellini wiedergesehen. Ein Meisterwerk. Ich mochte auch (den polnischen Regisseur Andrzej, Anm.) Wajda.
Corriere: Der Heilige Franziskus hatte eine sorgenfreie Jugend. Waren Sie schon mal verliebt?
Papst: Im Buch "Der Jesuit" erzähle ich, dass ich mit 17 Jahren eine Freundin hatte. Davon spreche ich auch "Il Cielo e la Terra" (Der Himmel und die Erde), das Buch, das ich mit (dem argentinischen Rabbiner) Abraham Skorka geschrieben habe. Im Seminar hat mir ein Mädchen eine Woche lang den Kopf verdreht.
Corriere: Und wie ging die Sache aus?
Papst: Das waren Jugendangelegenheiten. Darüber habe ich mit meinem Beichtvater gesprochen (breites Lächeln).