"IS" hat nichts mit islamischer Religion zu tun
Ob "Islamischer Staat" (IS), "Jihadisten" oder "Gotteskrieger", die einen "Gottesstaat" ausrufen: in Medienberichten wimmelt es derzeit nur so von religiös aufgeladenen Begriffen - und dies mit fatalen Folgen, wie sich die meisten Experten aus Religions- und Politikwissenschaft einig sind: So haben die Ereignisse im Irak zum einen nichts mit der islamischen Religion zu tun; zum anderen diskreditieren und belasten die Begriffe all jene Muslime, die sich friedlich auf den Islam berufen.
So betonte etwa der Wiener Politologe Thomas Schmidinger am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal, dass die IS-Milizen "mit dem Islam als Religion nur ganz wenig zu tun" habe. Es handle sich vielmehr um eine "radikalisierte Ideologie, die den Islam zur Mobilisierung nutzt", so Schmidinger. Das zeige sich auch darin, dass selbst konservative wahabitische islamische Theologen sich mehrheitlich vom "Islamischen Staat" distanziert hätten.
Die brennende Frage sei daher laut Schmidinger weniger, wie man etwa europäische Muslime vor einer Radikalisierung bewahren könne, sondern wie Europa insgesamt mit seinen Minderheiten und sozialen Randgruppen umgehe. "Wir müssen auch an unsere Bildungspolitik Anfragen richten und uns Fragen, ob die Inklusion von sozial Schwächeren gelingt". Da gebe es "sehr viel Potenzial, um Radikalisierung zu verhindern", so der Politologe.
"Unheilige Zweckbündnisse"
Ähnlich auch die Einschätzung der Wiener Ethnologin Ingrid Thurner: Die Rede von "Gottesstaaten" lenke davon ab, dass es letztlich immer Menschen seien, die agieren und reagieren, selbst dann, wenn sie sich beim Morden und Plündern auf die Religion beziehen. Insofern seien die Allianzen etwa im Irak "eher unheiliger Art", da es letztlich "Zweckbündnisse" seien zwischen Militärs aus der Hussein-Ära und freien radikalen Kämpfern, so Thurner in einem Beitrag in der "Wiener Zeitung" (20. August).
Nüchtern betrachtet könne sich die IS außerdem kaum auf Rückhalt in der islamischen Welt stützen: "Überall auf der Welt wenden sich Klerus und Gläubige mit Abscheu von ihnen ab", so Thurner. Viel mehr Sorgen als ein jihadistischer Islam mache den mehrheitlich islamischen Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien und einigen Golfstaaten der "gewaltlose politische Islam, den die Muslimbrüder vertreten" - dieser könne sich nämlich auf eine "breite Basis in den Mittelschichten" berufen.
Einen beredten Beleg für die Ablehnung des IS-Terrors in der islamischen Welt gibt indes der Religionswissenschaftler Ernst Fürlinger. Tatsächlich gibt es bereits zahlreiche Distanzierungen islamischer Organisationen und Gelehrter weltweit, so Fürlinger in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche". Solche Distanzierungen hatten nicht zuletzt christliche Organisationen immer wieder eingefordert.
Internationale Distanzierungen
Bereits am 21. Juli habe etwa der Generalsekretär der "Organisation for Islamic Cooperation" (OIC), die 57 Länder repräsentiert, die Verfolgung von Christen in Mossul und der Ebene von Ninive durch die "terroristische Organisation" IS als "Verbrechen, das nicht toleriert werden kann" verurteilt. Zugleich erklärte die OIC, dass die IS-Taten "nichts mit dem Islam und seinen Prinzipien" zu tun habe.
Ähnlich die Aussage des Vizerektors der al-Azhar-Universität in Kairo, Abbas Abdullah Shuman, der als höchste Autorität im sunnitischen Islam in einer pakistanischen Zeitung das IS-Vorgehen als "Terrorismus" brandmarkte. Weiters zitierte Fürlinger aus Erklärungen von muslimischen Organisationen in Indonesien, die mehr als 60 Millionen Muslime vertreten, sowie aus Großbritannien und den USA. In einer gemeinsamen Erklärung des "Muslim Council of Great Britain", des "British Muslim Forum" und des "Mosque and Imam National Advisory Board" werde eindeutig die "barbarische Gewalt und Zerstörung" durch die IS-Milizen abgelehnt.
In den USA schließlich habe sich der größte muslimische Dachverband, die "Islamic Society of North America" Anfang August mit einer Stellungnahme von der IS distanziert - und der "Council of American-Islamic Relations" (CAIR) hielt fest, dass amerikanische Muslime "die Handlungen von ISIS als un-islamisch und moralisch abscheulich" betrachten.
Kalifat: "Null und nichtig"
Sunnitische Rechtsgelehrte der "International Union of Muslim Scholars" sowie der Präsident des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), Mehmet Görmez, hätten darüber hinaus festgehalten, dass die Ausrufung des Kalifats durch die IS nicht vom islamischen Recht gedeckt und daher "null und nichtig" sei: "Solche Deklarationen haben keinerlei Legitimität".
All dies zeige darüber hinaus laut Fürlinger, dass die Bruchlinien nicht etwa zwischen "dem Westen" und "dem Islam" verlaufen, wie es der US-amerikanische Politologe Samuel Huntington noch in den 1990er Jahren in seinem vielzitierten Werk "Clash of Zivilisations" prognostiziert hatte, sondern vielmehr zwischen "extremistischen, radikalisierten islamischen Gruppierungen und der Mehrheit in den Gesellschaften und Religionsgemeinschaften, die an den Prinzipien einer Kultur der Toleranz festhalten."
Quelle: Kathpress