"Kirchlichen Antisemitismus weiter aufarbeiten"
Die Aufarbeitung des kirchlichen Antisemitismus ist ein Prozess, der noch lange nicht vor einem Ende steht. Das hat der Vize-Präsident des "Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit" und frühere evangelisch-methodistische Superintendent Helmut Nausner in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst Österreich betont. Anlass für das Gespräch war die Schau "Drum immer weg mit ihnen! - Luthers Sündenfall gegenüber den Juden", die ab 27. September in der evangelischen Kreuzkirche in Wien-Hietzing zu sehen sein wird.
"Eindringlich und direkt", so solle die Schau wirken, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) konzipiert und vom Koordinierungsausschuss für Österreich adaptiert wurde, unterstrich Nausner. Deswegen werden die antisemitischen Schriften, die Luther besonders in seinen letzten Lebensjahren verfasste, "schonungslos und plakativ" präsentiert. So finden die "sieben Ratschläge" Martin Luthers, wie Christen mit Juden umgehen sollen, einen zentralen Platz. In diesen ruft Luther offen zur Gewalt auf und empfiehlt beispielsweise, "dass man ihre (der Juden, Anm.) Synagoge oder Schulen mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun, unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren ..."
"Vom Judenfreund zum Judenhasser"
In der langen Geschichte des Antijudaismus habe Luther definitiv "seinen Platz", sagte Nausner. Gleichzeitig müsse man festhalten, dass Luthers Äußerungen nur im Kontext des jahrtausendealten kirchlichen Antijudaismus verstanden werden können. Interessant sei der Wandel, den Luther im Laufe seines Lebens vollzogen habe. So war er zu Beginn seines Wirkens noch in dem Glauben, auch die Juden von der befreienden Wirkung des Evangeliums überzeugen zu können. Als er dann aber merkte, dass sich diese nicht begeistern ließen, wurde aus dem "Judenfreund" ein "Judenhasser", so Nausner.
Den Antijudaismus, den Luther stets theologisch begründete, machten sich im Laufe der Geschichte auch die Nationalsozialisten zu eigen. "Auch wenn Luther niemals rassistisch-ideologisch argumentiert hat, nahmen die Nazis einzelne Zitate des Reformators gerne heraus, um ihre Ideologie zu stützen", erklärte Nausner. Hier sei besonders der Nazi-Politiker und Herausgeber von antisemitischen Hetzblättern Julius Streicher zu nennen. Dem Missbrauch der Luther-Schriften durch die Nazis werden in der Ausstellung auch einige Tafeln gewidmet sein.
Gegen Antisemitismus auftreten
Im klaren Auftreten gegen jegliche Form von Antisemitismus seien alle Kirchen auch heute noch herausgefordert. Der Weltkirchenrat habe Antisemitismus zwar bereits im Jahr 1948 als Sünde bezeichnet, es habe danach aber relativ lang gedauert, bis alle Kirchen damit begonnen haben, sich mit ihrer Beziehung zum Judentum auseinanderzusetzen. Insbesondere die lutherischen Kirchen hätten sich lange Zeit "schwer getan", den großen Reformator und Gründungsvater zu kritisieren. Diese Hemmschwelle sei zwar in gewisser Weise nachzuvollziehen, dürfe aber auf keinen Fall davon abhalten, sich mit diesem dunklen Kapitel zu beschäftigen.
Die Aufarbeitung des kirchlichen Antijudaismus sei in den letzten Jahrzehnten innerhalb der lutherischen Kirchen kontinuierlich vorangetrieben und befördert worden. 1998 hatte die Evangelische Kirche in der Erklärung "Zeit zur Umkehr" Luthers judenfeindliche Äußerungen verworfen. Inzwischen würden die antijudaistischen Schriften Luthers von allen lutherischen Kirchen klar abgelehnt. Deswegen sei auch in Hinblick auf das große Reformationsgedenken 2017 eine "klare Position" bei diesem Thema zu erwarten, so Nausner.
Quelle: kathpress