Stichwort: Konzilsdekret "Orientalium Ecclesiarum"
Das Dekret über die katholischen Ostkirchen zählt zu den kürzesten und auch weniger bekannten Konzilsdokumenten. Es richtet sich nicht, wie der Titel vermuten ließe, an die orthodoxe Kirche, sondern handelt von den in voller Gemeinschaft mit dem Papst stehenden nichtlateinischen Teilkirchen. Die berechtigte Autonomie und Wertschätzung der reichen Vielfalt dieser "unierten" Teilkirchen stehen im Zentrum des Dekrets.
Die Ausgangslage für das Dokument war schwierig, zumal damals die unierten Kirchen als Belastung für das katholisch-orthodoxe Verhältnis galten und noch immer gelten - heute freilich mitbedingt durch ihr Wiedererblühen nach der politischen Wende im Jahr 1989 in den Länder Mittel- und Osteuropas. Zugleich gab es bis zum Konzil immer wieder Tendenzen, die katholischen Ostkirchen zu latinisieren; ihre Riten wurden eher widerwillig toleriert und die Missionstätigkeit faktisch unterbunden. Die vielfach verfolgten oder zumindest unterdrückten unierten Ostkirche sahen demgegenüber ihre Treue zu Rom und zum Papst wenig belohnt.
Vor diesem Hintergrund waren die Diskussionen über die Konzilsentwürfe sehr geteilt, auch eine gänzliche Ablehnung der Vorlagen stand im Raum. Letztlich entschieden sich die Konzilsväter für ein relativ kurzes Dokument. Ausschlaggebend dafür war auch die positive Haltung von Papst Johannes XXIII. gegenüber den Ostkirchen, die er persönlich gut kannte.
Wertschätzung und Förderung
"Die Ostkirchen mit ihren Einrichtungen und liturgischen Bräuchen, ihren Überlieferungen und ihrer christlichen Lebensordnung sind in der katholischen Kirche hochgeschätzt." Mit diesen Worten beginnt das Konzilsdokument und schlägt damit den wertschätzenden Grundton an. Es rühmt die Vielfalt der Teilkirchen, wünscht deren unverletzte Erhaltung und die Pflege des geistigen Erbes und der Spiritualität der Ostkirchen. Weiters wird festgehalten, dass jeder Katholik und jeder Konvertit bei seinem Ritus bleiben möge.
Im Dekret wird ausdrücklich die alte Sakramentenordnung der Ostkirchen bestätigt und gegebenenfalls ihre Wiederherstellung gewünscht. Weitere Bestimmungen betreffen den Gottesdienstbesuch und Mischehen zwischen ostkirchlichen Christen. Da unierte Gläubigen oft in einem überwiegend orthodox geprägten Umfeld leben, bietet das Dokument auch Regeln im Umgang mit dieser Situation. In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit einer Gottesdienstgemeinschaft ("Communicatio in sacris") bei Buße, Eucharistie und Krankensalbung mit den noch getrennten anderen Ostkirchen eingeräumt. Im Nachhinein stellte sich als nachteilig heraus, dass diese Regelung ohne vorheriger Absprache mit den getrennten Ostkirchen erfolgte.
Reiche Vielfalt
Das Konzilsdekret bewirkte in der Folge eine immer positivere Sicht der lateinischen Kirche auf die Ostkirchen. Dies hat sowohl mit ihrem Wiedererstarken nach der politischen Wende in Europa, aber auch ihrer mittlerweile bereits existenzgefährdenden Bedrohung und teilweisen Verfolgung im Nahen und Mittleren Osten zu tun. Mit dem "Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium" (CCEO) haben die katholischen Ostkirchen seit dem 18. Oktober 1990 auch ein eigenes Kirchengesetzbuch, das ihren Anforderungen und ihrem Selbstverständnis viel besser entspricht, als das zuvor für sie seit 1949 geltende Kirchengesetzbuch.
Die katholischen Ostkirchen hängen mit den 5 Hauptriten des Ostens zusammen, die sich neben dem lateinischen Ritus der Westkirche entwickelt haben. Es sind dies der byzantinische (im Kernbereich der Kirche des Ostreiches), der alexandrinische (in Ägypten), der antiochenische (Westsyrien), der chaldäische (ostsyrischen) und der armenische Ritus. Diese Riten weisen nicht nur gegenüber dem lateinischen Ritus sondern auch untereinander deutliche Unterschiede in Liturgie, Organisation und Recht auf.
Zudem besteht innerhalb einiger Hauptriten eine Mehrzahl von Kultgemeinschaften mit eigener hierarchischer Spitze und eigenständiger Rechtsordnung. Beispielsweise werden die ukrainische, die bulgarische, die rumänische, die slowakische und verschiedene andere eigenständige Rituskirchen dem byzantinischen Ritus zugerechnet. Die Syro-Malabaren (in Südindien) subsumiert man, wenngleich sie eine eigene Kirchenorganisation bilden, dem chaldäischen Ritus, die eigenständige Kirche Äthiopiens folgt dem alexandrinischen (koptischen) Ritus.
Neben "Orientalium Ecclesiarum" wurden am 21. November 1964 auch die dogmatische Konstitution über die Kirche ("Lumen Gentium") und das Dekret über den Ökumenismus ("Unitatis redintegratio") von den Konzilsvätern angenommen und in der Folge von Paul VI. bestätigt.