"Vertriebene und Verbliebene" erzählen Geschichte
"Vertriebene und Verbliebene erzählen. Tschechoslowakei 1937-1948": Unter diesem Motto thematisiert aktuell eine Ausstellung im Wiener Volkskundemuseum die NS-Zeit in der Tschechoslowakei und die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg. Der ereignisreiche Geschichtsabschnitt wird anhand der Lebensgeschichten 37 Betroffener aus Österreich - darunter die Mutter des Wiener Kardinals Christoph Schönborn, Eleonore -, Tschechien und der Slowakei dargestellt. Die Schau ist zeitgleich in Bratislava (Preßburg) und Prag zu sehen.
Drei Millionen Menschen, die der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe in der Tschechoslowakei angehörten, wurden nach 1945 vertrieben. Bisher stand das Schicksal dieser Menschen in Österreich eher am Rand der gesellschaftlichen und politischen Aufmerksamkeit. Mit der Ausstellung, die Kurator Georg Traska bei einem Pressegespräch in Wien am Dienstag als "mitteleuropäisches Geschichtsprojekt" beschrieb, soll nun ein Stück Aufarbeitung geleistet werden und zwar im Miteinander der drei Länder.
Alles Material wurde von den Partnern aus Österreich, der Slowakei und Tschechien gemeinsam verantwortet. "Die Grundintention war eine gemeinsame Erzählung zu diesem historischen Abschnitt", so Traska. Finanziert wurde das Projekt durch den Zukunftsfonds der Republik Österreich und die EU-Kommission.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die 15 thematisch geschnittenen Videos, in denen die Protagonisten auch miteinander in Dialog treten. Damit vermeide man die oft eindimensionale Erzählung der Geschichte. "In Österreich liegt der Fokus immer auf der Vertreibung, in Tschechien oft auf den NS-Greuel", so Traska. Die Ausstellung versuche, diese beiden Ebenen zusammenzubringen und die "ganze Geschichte zu erzählen". Thematisch kreisen die Videos unter anderem um "Nachbarschaft und Freundschaft", "Zwischen Identitäten", "Vertreibung", "Bleiben und Gehen", "Das verlorene Haus und das bewahrte Heim", "Rückkehr und Erinnerung" oder "Das Erbe der Geschichte".
Den "multiperspektivischen Blick auf die sehr komplexe und aufgeladene wechselseitige Vertreibungsgeschichte" ermöglichen zwei- bis vierstündige Interviews mit 37 Betroffenen aus Österreich, Tschechien und der Slowakei. Anhand der Interviewpartner werde die Geschichte erzählt. Aufgezeigt soll der Handlungsspielraum der einzelnen Personen werden, der trotz aller Systemvorgaben möglich gewesen sei, so der Kurator.
Unter den Interviewten ist auch Eleonore Schönborn (95), die Mutter von Kardinal Christoph Schönborn. Sie musste 1945 mit ihren zwei kleinen Kindern, unter ihnen der erst neun Monate alte Sohn Christoph, in Folge der Benes-Dekrete binnen einer Stunde ihre Heimat in Skalken (Skalsko) nahe der tschechischen Stadt Leitmeritz (Litomerice) verlassen. Ihre Flucht führte sie über viele Umwege schließlich nach Schruns in Vorarlberg, wo die Familie fünf Jahre nach der Vertreibung eine neue Heimat fand.
Im Rahmenprogramm der bis 10. April laufenden Ausstellung finden im Volkskundemuseum (18.2.), im Slowakischen Institut (3.3.) und im Tschechischen Zentrum Wien (8.3.) auch moderierte Gespräche mit einigen der interviewten Zeitzeugen statt. Das gemeinsam mit den Partnern Antikomplex (Prag) und Antikomplex.sk (Banska Bystrica) erarbeitete Forschungsprojekt wird in Prag im Neustädter Rathaus sowie in Preßburg in der Universitätsbibliothek gezeigt
Die Ausstellung ist noch bis 10. April von Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 17 Uhr zu sehen. (Infos: www.volkskundemuseum.at)
Quelle: kathpress