Ecatepec: Franziskus gibt den Vorstadtpfarrer
Die Vorliebe von Papst Franziskus für die Menschen an der "Peripherie", am Rande der Gesellschaft, hat ihn am zweiten Tag seiner Mexiko-Reise nach Ecatepec geführt - einen Ort, den außerhalb von Mexiko kaum jemand kennt. Erst 1980 ist Ecatepec überhaupt zur Stadt geworden. Vorher war es ein anonymer Teil jenes endlosen Siedlungsbreis, der den Metropol-Bereich von Mexiko-Stadt mit seinen 20 Millionen Einwohnern umgibt. Rund zwei Millionen Menschen leben heute in Ecatepec, mit eigenem Bürgermeister und seit 1995 auch mit einem eigenen Bischof.
In Mexiko hat die Stadt traurige Berühmtheit erhalten, weil hier vor einem Jahrzehnt unter bis heute ungeklärten Umständen mehrere junge Frauen entführt und dann vermutlich ermordet wurden. Die Leichen wurden auf einer wilden Mülldeponie gefunden. Wie in vielen Großstädten Lateinamerikas ballen sich in Ecatepec, in der Höhenlage am Rande der Metropole, die sozialen Probleme, die Kriminalität und die Perspektivlosigkeit für viele Familien und vor allem für die Jugendlichen. Das von Polizei und Staat freigelassene Vakuum füllen Drogenbanden. Sie teilen die Zonen der Stadt unter sich auf - und zu ihren grausamen Ritualen zählen offenbar auch das Entführen, Vergewaltigen und Töten von Frauen. Nicht in einem der gepflegten Parks oder in einem der modernen Sportstadien von Mexiko-Stadt wollte Franziskus den Sonntagsgottesdienst seiner Reise feiern, sondern in dieser Stadt am Rande.
Als Papst Franziskus am späten Sonntagvormittag (Ortszeit) im Helikopter aus Mexiko-Stadt kommend in Ecatepec eintraf, hatte er schon seinen ersten Auftritt als Seelsorger hinter sich. Am Morgen hatte er die Apostolische Nuntiatur in Mexiko-Stadt für eine Viertelstunde verlassen, um Menschen zu treffen, die dort seit Stunden auf ihn warteten. Er schüttelte Hände, segnete Marienbilder, küsste Kinder, segnete Kranke und sprach ihnen Mut zu. Drei Stunden später, in der staubigen Vorstadt Ecatepec, setzt er diese Rolle fort. Es ist das, was er in Interviews wiederholt als seine Lieblingsaufgabe im Papstamt bezeichnet hat: Er übernimmt die Rolle des Pfarrers.
Mehr als 300.000 Menschen hatten ihn geduldig in der für Ecatepec sprichwörtlichen Kälte erwartet. Sie hatten ihre weinenden Kinder getröstet und hatten sie bei den fliegenden Händlern mit Essen versorgt. Mit einem Chor und einem Orchester aus der Hauptstadt hatten sie Gesänge eingeübt, und sie hatten in Sprechchören den Papst hochleben lassen. Die Ankunft von "Papa Francisco" begleiteten sie mit frenetischem Jubel, und der Papst hatte es nicht leicht, sich mit seiner leisen Stimme und seinem weichen argentinischen Akzent Gehör zu verschaffen. Die Menschen hingen an seinen Lippen. Sie versuchten die Worte zu verstehen, die über Lautsprecher und Großbildschirme auf die riesige Freifläche übertragen wurden.
Nach dem Kreuzzeichen zur Eröffnung der Messe kehrte andächtige Stille ein. In der Predigt ging es um die Versuchung Jesu in der Wüste. Für den Papst in der Rolle des Vorstadtpfarrers war das Sonntagsevangelium eine Steilvorlage. Es enthielt einige seiner Lieblingsthemen: Die Versuchung durch den Teufel, von der Franziskus seit dem ersten Tag seines Pontifikats immer wieder spricht. Und die Verlockung durch Reichtum und Macht, die in Mexiko nicht anders als in Rom ein Leitmotiv seiner Predigten ist. Den teuflischen Versuchungen, die letztlich zu einer entzweiten Gesellschaft führen, kann er seine Vision von einer Gesellschaft gegenüberstellen, in der die Liebe Gottes die Gräben des Egoismus überwindet.
Nach der Sonntagsmesse in Ecatepec stand am Nachmittag (Ortszeit) ein Besuch in einem Kinderkrankenhaus in der Hauptstadt auf dem Programm. Ein ursprünglich vorgesehenes Treffen mit der "Welt der Kultur" wurde hingegen vor einigen Tagen ohne weitere Erläuterung aus dem Programm genommen. Zu diesem Seelsorge-Sonntag des Papstes hätte es vielleicht auch nicht so recht gepasst.
Quelle: kathpress