Wegsperren allein ist keine Lösung
Papst Franziskus hat beim Besuch einer mexikanischen Haftanstalt neue Wege der Wiedereingliederung von Gefangenen in die Gesellschaft gefordert. Der Teufelskreis von Gewalt und Kriminalität lasse sich letztlich nicht durch Isolierung, Abschiebung und Wegsperren brechen, sagte er am Mittwoch im staatlichen Gefängnis "Centro de Readaptacion Social 3" (Cereso 3) der Stadt Ciudad Juarez an der Grenze zu den USA. Der Papst forderte eine Resozialisierung, die nicht erst im Gefängnis beginne, sondern die in den Stadtvierteln, Schulen, auf den Straßen und in den Familien ein "System sozialer Gesundheit" schaffe.
Der Bundesstaat Chihuahua, zu dem Ciudad Juarez gehört, war bis vor wenigen Jahren eine der Regionen mit der höchsten Rate an Morden und anderen Gewaltverbrechen in Mexiko. Deren Zahl ist seit einigen Jahren jedoch beständig zurückgegangen und hat sich inzwischen mit rund 1.000 Morden im Jahr dem nationalen Mittelwert angenähert. Im Jahr 2010 waren in Chihuahua noch mehr als 5.000 Morde pro Jahr zu beklagen. Ebenso galt auch das Gefängnis, das der Papst besuchte, vor fünf Jahren noch als eines der gefährlichsten der Welt, während sich die Lage seither jedoch gebessert hat.
Das Problem der Unsicherheit in Mexiko erledige sich nicht allein durch Inhaftierung, sagte der Papst bei dem Treffen auf einem Platz im Gefängnis vor 700 Zuhörern. Manchmal habe es den Anschein, als seien die Haftanstalten "mehr darauf bedacht, die Menschen außerstande zu setzen, weiter Straftaten zu begehen, als darauf, die Prozesse der Rehabilitierung zu fördern". Scheinbar habe die Gesellschaft vergessen, "dass unsere eigentliche Sorge die des Lebens der Menschen und ihrer Familien sein sollte", so der Papst. Berücksichtigen sollte man zudem auch die sozialen, psychologischen und familiären Probleme, die Menschen zu ihrem bestimmten Verhalten geführt hätten.
Franziskus plädierte für eine Kultur der Vorbeugung, die eine Ansteckung und Erkrankung des gesamten gesellschaftlichen Spektrums verhindere. Jene strukturellen und kulturellen Ursachen der Unsicherheit, die das soziale Gefüge schädigten und zu einer "Wegwerfgesellschaft" führten, gelte es zu bekämpfen. Die gesellschaftliche Wiedereingliederung beginne damit, dass alle Kinder zur Schule gingen und ihre Familien von würdiger Arbeit leben könnten; dass es öffentliche Zonen für Freizeit und Erholung sowie Einrichtungen der Bürgerbeteiligung gebe. Franziskus forderte außerdem einen allgemeinen Zugang zu Gesundheitsdiensten und zu den wichtigsten Serviceleistungen.
Mit Erfahrung der "Hölle" Teufelskreis durchbrechen
Natürlich könne man das Rad nicht zurückdrehen, denn das Geschehene bleibe geschehen, sagte Franziskus an die Adresse der Gefangenen. Aber er sei gekommen, um auch mit ihnen das Heilige Jahr der Barmherzigkeit zu feiern. "Barmherzigkeit wird zu einem moralischen Imperativ für die gesamte Gesellschaft, die die Voraussetzungen erfüllen möchte, die für ein besseres Zusammenleben notwendig sind." Gerade in der Fähigkeit einer Gesellschaft, ihre Armen, ihre Kranken und auch ihre Gefangenen einzubeziehen, liege die Möglichkeit, Wunden zu heilen und ein gutes Zusammenleben aufzubauen.
"Das Jubiläum der Barmherzigkeit mit euch zu feiern, bedeutet zu lernen, nicht der Vergangenheit, dem Gestern verhaftet zu bleiben", sagte der Papst. Es bedeute zu lernen, der Zukunft die Tür zu öffnen und darauf zu vertrauen, dass die Dinge sich ändern können. Dabei nahm Franziskus auch die Häftlinge selbst in die Verantwortung für einen Gesellschaftswandel. Statt ewig zu sinnieren, warum sie im Gefängnis seien, sollten sie sich auch fragen, wozu. "Die vielleicht schwerste Etappe, die ihr jetzt erlebt, kann auch die fruchtbringendste sein", so der Papst. Bereits vom Gefängnis aus sollten die Menschen darum ringen, die Situationen des Ausschlusses umzukehren. "Redet mit den euren, erzählt ihnen eure Erfahrung und helft, den Teufelskreis der Gewalt und Ausschließung zu durchbrechen. Wer den Schmerz bis zum Äußersten erlitten hat und die Hölle durchgemacht hat, kann ein Prophet in der Gesellschaft werden."
Der Besuch in der Strafvollzugsanstalt von Ciudad Juarez, bei dem einige Dutzend Gefangene den Papst persönlich begrüßten, wurde in insgesamt 400 Gefängnissen von ganz Mexiko per Livestream übertragen. Ein Häftlingsorchester spielte für den Papst, von einem Häftling bekam er einen von einer Gefängniswerkstätte geschnitzten Hirtenstab geschenkt und eine weibliche Inhaftierte legte dem Papst stellvertretend ihre Lebenssituation dar. Zum Abschlusschluss dankte der Papst dem Wachpersonal, der Gefängnisleitung und den Vertretern der Gefangenenpastoral für deren Anstrengungen und erinnerte daran, dass sie durch ihren Dienst auch "Zeichen der Liebe Gottes" sein könnten.
Die Visite des Cereso 3-Gefängnisses stand am Beginn des letzten Besuchstags von Franziskus in Mexiko, bei dem er außerdem noch Arbeiter und Unternehmer treffen und eine Messe direkt an der Grenze zu den USA feiern wollte. Für Abend (Ortszeit) war der Rückflug nach Rom angesetzt.
Quelle: kathpress