Deutsches Suizidbeihilfe-Urteil: Scharfe Kritik aus Österreich
Scharfe Kritik am Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts, schwer und unheilbar kranken Patienten "in extremen Ausnahmefällen" die Verabreichung von Betäubungsmitteln zur schmerzlosen Selbsttötung zu ermöglichen, kommt unter anderem aus Österreich: Man wolle damit "Einzelfälle als Ausnahmen titulieren, um damit Ausnahmeregeln zu erstellen", befand Susanne Kummer vom Wiener Bioethikinstitut IMABE gegenüber "Kathpress". Mit derselben Taktik habe man auch in den Niederlanden das Töten auf Verlangen durchgesetzt.
Laut deutschem Betäubungsmittelgesetz sei es zwar "grundsätzlich nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben", erklärten die Leipziger Richter, öffneten diese Tür aber dennoch unter bestimmten Voraussetzungen: Betroffenen müssten "wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen", hieß es im Urteil, auch dürfe ihnen keine zumutbare Alternative - etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch - zur Verfügung stehen.
Zugleich betonten die Richter den Ausnahmecharakter dieser Regelung nur für Extremfälle: "Nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes ist es grundsätzlich nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben." Zur Begründung hieß es in dem Urteil, dass das im Grundgesetz verankerte Persönlichkeitsrecht auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten umfasse, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er könne seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.
Durch die Regelung von Ausnahmen erreiche man genau das Gegenteil, so die Kritik von IMABE-Geschäftsführerin Kummer: "Statt zu unterbinden, weitet man aus. Denn jede Ausnahmeregel - sie ist per se als Regel zu allgemein - hat dann wieder Ausnahmen, die neu definiert werden müssen." Gut nachvollziehen lasse sich dies am Beispiel der Niederlanden, wo Tötung auf Verlangen zunächst auf die Ausnahme war, es müssten sterbenskranke Menschen. Dann sei die "Ausnahme" demenzkranker und schließlich lebenssatter, gesunder Menschen hinzugekommen, die nun alle ein Recht auf Selbsttötung oder Tötung auf Verlangen haben.
Der Richterentscheid zeige die "Zwiespältigkeit der deutschen Rechtslage" auf, wo ein Tatbestand einerseits erlaubt, bei geschäftsmäßigem Betreiben jedoch verboten sei. Österreich habe mit dem generellen Verbot der Beihilfe zum Suizid eine weitaus klarere Lösung: Gestärkt werde hier das ärztliche Ethos, nicht zu töten, womit das Gesetz auch nicht dazu verleite, "Suizidbeihilfe zu einem Teil der ärztlichen Profession zu machen", so die Ethikerin.
Deutsche Bischöfe äußern "große Sorge"
Im vorliegenden Fall hatte der Kläger bereits 2004 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vergeblich beantragt, seiner schwerstbehinderten, gelähmte Ehefrau den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Die Leipziger Richter stellten in dem Revisionsverfahren fest, dass diese Ablehnung des Bundesinstituts rechtswidrig war. Es hätte prüfen müssen, ob ein solcher Ausnahmefall bei der Betroffenen vorlag, so das Gericht.
Da die Frau sich im Februar 2005 in der Schweiz mit Hilfe des Sterbehilfevereins Dignitas das Leben nahm, lasse sich diese Prüfung nicht mehr nachholen. Deshalb lasse sich auch nicht mehr im Nachhinein feststellen, ob das Bundesinstitut zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen wäre, so die Richter.
Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) reagierte "mit großer Sorge" auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. "Es kann nicht sein, dass der Staat dazu verpflichtet wird, die Hand zum Suizid zu reichen", erklärte der DBK-Sprecher Matthias Kopp am Freitag in Bonn. "Damit muss eine Behörde ein Werturteil über die Zumutbarkeit des Lebens abgeben, das ihr bisher aus guten Gründen verwehrt ist." Die Werteordnung des Grundgesetzes verbiete solche Entscheidungen durch den Staat, da sie das Leben und die Würde jedes Menschen ungeachtet seiner körperlichen oder geistigen Verfassung schütze.
"Der Urteilsspruch scheint sich über grundlegende Wertungen des Gesetzgebers hinwegzusetzen, indem er die Tür zum staatlich assistierten Suizid - wenn auch nur einen Spalt weit - öffnet", fügte Kopp hinzu. Dabei habe der Gesetzgeber noch Ende 2015 mit den Gesetzen zum Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung und dem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung kraftvolle Signale für die Begleitung und Unterstützung Schwerstkranker, aber eindeutig gegen jegliche Formen organisierter Hilfe zum Suizid gesetzt.
Mit Blick auf mehrere Klagen gegen das Gesetz zur Suizidbeihilfe sagte Kopp, die Bischöfe hofften, dass das Bundesverfassungsgericht den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei diesen grundlegenden Wertungsfragen anders beurteile als die Leipziger Richter.
Quelle: Kathpress