Hospizkultur und Palliative Care auf Vormarsch
In Österreichs Alten- und Pflegeheimen befinden sich Hospizkultur und Palliative Care auf dem Vormarsch. Die Präsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich, Waltraud Klasnic, informierte bei einem Pressegespräch am Donnerstag über ein Projekt ihres Verbandes, in dem acht Wiener Alten- und Pflegeheime über einen Zeitraum von zwei Jahren den Hospizgedanken von einem Leben in Würde bis zuletzt in Strukturen und Arbeitsabläufe integrieren. Rund 100 von 800 Heimen in ganz Österreich taten dies bereits oder sind gerade an der Umsetzung. "Hospiz und Palliative Care ermöglicht den Heimbewohnern ein besseres Leben im neuen Zuhause und trägt dazu bei, dass deren Wünsche zu Sterben und Tod aufgenommen und umgesetzt werden", erläuterte Klasnic.
Das Thema sei nicht zuletzt durch die Parlamentarische Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens", deren 51 abschließende Empfehlungen u.a. über einen Ausbau-Stufenplan für eine flächendeckende und leistbare Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich am Donnerstag im Nationalrat zur Beschlussfassung anstanden, im Mittelpunkt vieler Diskussionen. Bei allen Fortschritten müsse sich noch vieles verbessern. So gebe es weiterhin Probleme mit der oft zwangsläufig an Spitäler übertragene ärztlichen Versorgung in Pflegeheimen und auch mit der Finanzierung: Dort erbrachte Hospiz- und Palliativ-Leistungen "werden derzeit noch nicht abgegolten", so Klasnic.
Über pflegerische und medizinische Anforderungen in diesem Bereich informierten neben Klasnic auch der Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft, Harald Retschitzegger, Primaria Katharina Pils als Verantwortliche für den ab Donnerstag in Wien stattfindenden 10. Gemeinsamen Österreichisch-Deutschen Geriatriekongress und Marianne Klicka, Dritte Präsidentin des Wiener Landtags. Schauplatz des Pressegesprächs war die Reed Messe Wien, wo am Nachmittag der 6. Wiener Hospiz- und Palliativtag abgehalten wird.
Ziel: Sterben in gewohnter Umgebung
Tenor der Fachleute am Podium: Patienten bzw. Sterbende, die sich in einem Heim verwurzelt haben, sollen auch Gelegenheit haben, ihre letzte Lebensphase in der gewohnten Umgebung des Pflegeheims und im Kreise ihrer Angehörigen zu verbringen und nicht bei vermeidbaren Anlässen in ein Krankenhaus überstellt werden. "Wo man lebt, soll man möglichst auch sterben können", sagte Retschitzegger. Dafür brauche es freilich eine "Kultur des strukturierten und integrierten Vorsorgedialogs", in dem Betroffene mit dem ärztlichen und pflegenden Personal und mit Angehörigen klären können, wie sie aus dem Leben scheiden wollen bzw. was dabei gerade nicht geschehen soll.
Ein Problem dabei stellt das derzeit geltende Verbot für Pflegeeinrichtungen dar, keine Medikamentendepots anzulegen und somit im Anlassfall z.B. keine blutdrucksenkenden oder auch nur durchfallhemmenden Präparate verabreichen zu können. Die Folge sei oft ein schnelles Abschieben in Spitäler, wo derzeit rund die Hälfte der gebrechlichen Heimbewohner letztlich sterben. Retschitzegger sieht hier dringenden, bei Gesundheitspolitikern oft eingeforderten Reformbedarf; es solle nicht länger der Fall sein, dass "der Patient zum Medikament gebracht wird statt das Medikament zu Patienten".
"Unnötige Spitalseinweisungen vermeiden"
Gerade am Wochenende sei die ärztliche Versorgung ein Problem, weil in den meisten Heimen die Versorgung durch Hausärzte geschieht und die sonntags gerufenen Notärzte ins Spital überstellen lassen. Die dort übliche Routine, alles Mögliche zu tun, um das Leben zu erhalten, sei nicht immer im Sinne der Betroffenen, weiß Ärztin Katharina Pils: "Alles Mögliche zu tun ist nicht immer das Beste", es brauche geriatrische Kompetenz, um "unnötige Spitalseinweisungen zu vermeiden". Pils hält es generell für wichtig, das Thema Tod zu enttabuisieren und die Menschen zu ermutigen, sich mit ihrem Lebensende zu beschäftigen und entsprechende Vorkehrungen via Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu treffen.
Marianne Klicka nannte als Gesundheitsverantwortliche der Stadt Wien das Ziel, in Pflegeeinrichtungen der Bundeshauptstadt bis 2020 eine flächendeckende Palliativkultur zu etablieren. Die "kostbarste Ressource" seien dabei die Mitarbeiter in den Versorgungseinrichtungen; interdisziplinäre Teams von Ärzten, Pflegepersonal, Psychologinnen, Sozialarbeitern, Seelsorgern und ehrenamtlich Tätigen sollen an einem Strang ziehen.
Die Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter, und das sei gut so, meinte Waltraud Klasnic resümierend. Das Gesundheitssystem müsse freilich an diese veränderte Altersstruktur angepasst werden. (Info: www.hospiz.at)
Enquete-Empfehlungen einstimmig angenommen
Der Nationalrat hat am Donnerstag den Bericht der Enquete-Kommission zum Thema "Würde am Ende des Lebens" einstimmig angenommen. Viele Redner plädierten bei der Parlamentsdebatte dafür, das nötige Geld für den darin empfohlenen flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativmedizin bereitzustellen. Die Enquete-Kommission hatte für den stufenweisen Ausbau einen Finanzbedarf von jeweils zusätzlich 18 Millionen Euro für 2016 und 2017 genannt. Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser reagierten darauf mit dem Hinweis, derzeit sei in ihren Ressorts kein Geld dafür übrig.
"Ich glaube, da muss sich ein Weg finden", sagte ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger dazu. "Wenn es an diesen 18 Millionen Euro scheitert und für Hospize weiter gebettelt werden muss, für so ein Gesundheitswesen würde ich mich schämen." Immerhin werde für die Gesundheit in Österreich jährlich 34 Milliarden Euro ausgegeben. Ähnlich FPÖ-Gesundheitssprecherin (und Enquete-Kommissionsmitglied) Dagmar Belakowitsch-Jenewein: Bei Sterbenden Geld zu sparen, sei der "ganz, ganz falsche Weg". Gerade Sterbende sollen "nicht zu Bittstellern werden" müssen, wies die Grüne Gesundheitssprecherin Eva Mückstein auf den Umstand hin, dass sich Hospiz-Einrichtungen derzeit beinahe zur Hälfte durch Spenden finanzieren. Die Mitverantwortung auch der Länder unterstrich NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker.
SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim und Redner der Grünen deponierten ihre Überzeugung, dass weiter über das - im Kommissionsbericht ausgesparte - Thema des assistierten Selbstmordes diskutiert werden müsse. Rasinger begründete das Nein der ÖVP mit der Sorge, mit einer Einstiegsregelung auf die "schiefe Ebene" zu geraten.
Team Stronach-Gesundheitssprecher Marcus Franz mahnte "Würde" auch für den Beginn des Lebens ein, forderte eine Dokumentation der Abtreibungen in Österreich und kritisierte die Zahl der Abtreibungen als zu hoch. Das sorgte laut einem Bericht der APA für "empörte Zwischenrufe" und eine Mahnung von Nationalratspräsidentin Doris Bures, das zur Diskussion stehende "sehr ernste Thema" mit "Mäßigung in den Ausführungen und Positionen" abzuhandeln.
Die von "Aktion Leben" betriebene Bürgerinitiative "Fakten helfen!", mit der eine Statistik und Motiverforschung über Schwangerschaftsabbrüche in Österreich gefordert wird, läuft noch bis Ende März.