Holztrattner: Papst kritisiert mit "Fratelli tutti" auch Österreich
Papst Franziskus hat mit seiner eben erschienenen Enzyklika Österreichs Asylpolitik kritisiert - zwar nicht explizit, aber dennoch "ganz deutlich für den, der zwischen den Zeilen lesen und die Botschaft auf den eigenen Kontext anwenden will": Das hat die Direktorin der Katholischen Sozialakademie (ksoe), Magdalena Holztrattner, am Mittwochabend in der Ö1-Sendereihe "Praxis - Religion und Gesellschaft" festgestellt. Was den Umgang mit Flüchtlingen betrifft, stehe das Schreiben "Fratelli tutti" im klaren Gegensatz zur Regierungslinie, trotz brennenden Flüchtlingscamps und großer humanitärer Not niemanden ins Land zu lassen.
Die Botschaft des Papstes sei klar und zugleich differenzierend, erklärte die Theologin: Grundsätzlich gehe es immer zuerst um die Hilfe vor Ort und um die Sorge darum, dass Menschen in gerechten Strukturen leben können und nicht zur Flucht gezwungen sind.
Wenn das aber nicht geht, weil zum Beispiel Flüchtlingslager überquellen wie etwa derzeit Moria, dann ist es wichtig diese Mitmenschen als Geschwister aufzunehmen.
Franziskus habe wohl Europa ebenso wie die USA vor Augen gehabt, als er darüber hinaus auch klare Vorschläge wie etwa die Vereinfachung der Visaprozesse, ein Recht auf Arbeit für Migranten und erleichterten Zugang zur Staatsbürgerschaft für die schnellere volle Eingliederung in der Gesellschaft eingebracht habe. Der Papst habe auch darauf gepocht, dass Asylwerber mehr Bewegungsfreiheit benötigten und nicht eingesperrt werden sollten. Dass er für sie Unterkünfte, die nicht nur funktional, sondern auch schön sein sollten, eingefordert habe, hob Holztrattner besonders hervor: "Schließlich müssen Menschen oft zu lange darin leben."
Politisch sei die Enzyklika weiters mit den Forderungen, das für Waffen ausgegebene Geld möge für den Kampf gegen Hunger in der Welt umgewidmet werden. "Der Papst fordert eine Politik, die hinschaut und sieht, dass Waffenproduktion Kriege fördert und dass Kriege nie zu mehr Gerechtigkeit führen", betonte die ksoe-Direktorin. Eine Politik, die den Menschenhandel als illegalen Wirtschaftssektor übersieht, bestärke durch ihr Wegschauen jene, die aus diesen Missständen Profit ziehen, habe Franziskus kritisiert; dasselbe gelte auch für die Waffenproduktion, deren unmittelbare Folge die Flucht vieler Millionen Menschen sei.
Besonderes Augenmerk richtete die Theologin zudem auf den interreligiösen Aspekt des Papst-Schreibens, das in besonderer Weise - bereits im Untertitel - um den Begriff "Geschwisterlichkeit" kreist. Dass Franziskus das 2019 verfasste "Dokument über die menschliche Brüderlichkeit" als Teil der Sozialenzyklika aufnahm, verleihe dem 2019 gemeinsam mit dem ägyptischen Großimam Ahmad al-Tayyeb in Abu Dhabi verfassten Text "katholischerseits sehr hohen Wahrheitscharakter und Anerkennungswert". Holztrattner weiter: "Da macht er das Herz, die Türen und Grenzen weit auf, um Dialog zu halten mit dem Bruder einer anderen abrahamitischen Religion und zu sagen: Es geht nur gemeinsam, denn wir sind Geschwister."
Einzig den bereits im Vorfeld der Veröffentlichung kritisierten Titel der Enzyklika - das auf Franz von Assisi zurückgehende Zitat "Fratelli tutti" (Alle Brüder) lässt Frauen unerwähnt - bezeichnete auch die ksoe-Direktorin als nicht geglückt: Mit einem anderen Titel hätte man Verwirrungen wohl besser aus dem Weg gehen können, schloss sich Holztrattner der Kritik von Vatikan-Journalistin Gudrun Sailer an. Denn schon der Heilige aus Assisi habe sich seinerzeit "sicher nicht nur an seine Ordensbrüder gewandt, sondern an alle Menschen auf dieser Welt."
Quelle: kathpress