Theologe: Impfdebatte stellt auch Frage nach persönlicher Identität
Wenn in der aktuellen Impfdebatte die Positionen von Befürwortern und Gegnern aufeinanderprallen, dann hat das nicht immer nur mit Fragen einer medizinischen oder wissenschaftlichen Grundeinstellung zu tun, sondern es rührt an die Identität der jeweiligen Diskutanten selbst. Die Frage der Immunität geht mit der Frage der Identität einher - und so verlangt die Impfdebatte von jedem einzelnen nicht nur eine virologische Positionierung, sondern auch "Identitätsarbeit": Diese These hat der Grazer Philosoph Prof. Reinhold Esterbauer in einem aktuellen Beitrag für das theologische Debatten-Portal "feinschwarz.net" entfaltet.
Ausgehend von existenzphilosophischen Überlegungen des Philosophen Peter Wust (1884-1940), denen zufolge der Mensch ein stets nach Sicherheit suchendes und zugleich in fragiler Ordnung lebendes "animal insecurum" (ungesichertes Lebewesen) sei, könne man die aktuelle aufgeheizte Debatte als Ausfluss eben dieser Grundbestimmung des Menschen verstehen. So sei die Suche nach Sicherheit und Gewissheit in der Impf- und Corona-Debatte immer auch eine "Suche danach, wer man sei". Testungen und Impfungen seien also nicht nur "Immunitätsmarker", sondern stets auch Identitätsmarker, so Esterbauer, der Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz lehrt:
"Immunität erzeugt in der Tat Identität, und die Gefährdung eigener Immunität lässt zugleich die eigene Identität fragil werden. Denn nicht nur Existenz-Sicherheit durch die Zeit hindurch gerät in Gefahr, sondern auch die wenigstens teilweise Unabhängigkeit eines Individuums seiner Außenwelt gegenüber sowie die Fähigkeit, sich ihr gegenüber zu behaupten." Während Impfungen den einen daher Sicherheit und Identität geben, würden andere genau durch den gleichen Akt in ihrer körperlichen Integrität, d.h. Sicherheit und Identität, gestört.
Notwendig sei daher auch ein die Debatte begleitender Reflexionsprozess, in dem jedes Individuum sich darüber im Klaren werden muss, worin es seine Identität sieht. Diese unterschiedlichen Identitätskonzepte müssten dann miteinander vermittelt werden - im Idealfall dahingehend, dass absolute Sicherheit nie gegeben sein wird und der Umgang mit Unsicherheit und Offenheit für Neues zum Wesen des Menschen dazugehöre, so Esterbauer. (Volltext online: www.feinschwarz.net/identitaetsarbeit-bei-covid-19)
Quelle: kathpress