Theaterregisseur: Religionsdialog ist Basis für moderne Passionsspiele
"Über die Sache reden und begreifbar machen, dass es in uns keinen Antisemitismus geben kann, weil unsere Wurzeln total jüdisch sind", ist Christian Stückl ein Anliegen. Der 61-jährige Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele hat das Stück in Zusammenarbeit mit jüdischen Vertretungen binnen vier Ausgaben weitestgehend von Antisemitismus und judenfeindlicher Wortwahl befreit. Der Theaterregisseur will die Menschen näher ans Judentum heranführen, erzählte er im Interview mit Kathpress. Neben der Fortsetzung einer fast 400 Jahre alten Tradition öffnet er die Passionsspiele selbstkritisch dem interreligiösen Dialog und der christlich-jüdischen Jugendarbeit. Im Vorfeld der im Mai anlaufenden 42. Oberammergauer Passionsspiele wurde er für sein Engagement zweifach ausgezeichnet.
Von jüdischer Seite bekam er den Abraham-Geiger-Preis 2020 und vom deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit die Buber-Rosenzweig-Medaille 2020. Stückl hat etwa christliche Gebete durch jüdische wie das Glaubensbekenntnis "Schma Israel" ersetzt und Teile von Jesus Worten in Hebräisch ins Stück aufgenommen. Die Inszenierung provoziere auch wortlos durch Pilatus, er wäscht sich die Hände und schüttet das Wasser ins Volk. Der nur durch diese Geste ausgedrückte Satz "Ich wasche meine Hände in Unschuld" sei durch das Publikum verstanden worden. Der "Gottesmordvorwurf" gegenüber Jüdinnen und Juden lasse sich aber nicht komplett vom Stück loslösen. Denn, es sei schwierig, klar zu machen, dass es in der Passion nicht um einen jüdisch-christlichen, sondern um einen innerjüdischen Konflikt handle. "Jesus war vom ersten bis zum letzten Tag seines Lebens Jude."
In alten Spielen "vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus" habe man mitbekommen, "wie Hass auf Juden propagiert wurde", betonte der Intendant des Münchner Volkstheaters. Das Thema christlicher Antijudaismus im Oberammergauer Passionsspiel beschäftigt ihn seit der Jugend. Deshalb traf das Oberammergauer Team bei den Vorbereitungen inklusive Israelreise auf Rabbiner sowie auf katholische und evangelische Theologinnen und Theologen.
Generationen-Projekt
Das Passionsspiel soll als Generationen-Projekt neu, aktuell und für alle Religionen zugänglich sein. Rochus Rückel ist neben Frederik Mayet in der Hauptrolle als Jesus zu sehen. Rückel, Student für Luft- und Raumfahrttechnik, gab zu bedenken: "Man kann sich nur mit dem identifizieren, was er als Mensch ist, aber nicht, was er als Gott ist." Den meisten Christinnen und Christen sei die Situation im damaligen Israel "nicht bewusst". Doch die im Passionsspiel vermittelten Grundwerte seien für alle gleich. Der Inhalt gehe jeden etwas an. Eine weitere junge Schauspielerin ist Sophie Schuster. Die Marketingstudentin schätzt Maria Magdalena als willensstarke Frau ihrer Zeit, die sich nicht von ihrem Weg abbringen lässt. Sie zu spielen, sei mit "ganz viel Freude" und Respekt verbunden.
Für den muslimischen stellvertretenden Spielleiter Abdullah Karaca ist Jesus ein Prophet. Stückl setze vor allem bei der Darstellung der vorösterlichen Jesus-Figur an, denn "zuerst ist Jesus ganz Mensch und er agiert als solcher auf der Welt". Inhaltlich treffen sich die beiden, wenn er erkläre, dass sich Jesus "an den Rändern der Gesellschaft aufhält". Die religiöse Vielfalt im Team ist für Stückl ein großer Schatz. Bei Proben fürs Abendmahl etwa kommen Fragen auf, die ein reflektiertes Neuformulieren von ihm erfordern.
Ausnahmezustand im Zehnjahresrhythmus
1633 sollen Dorfbewohner Gott ein Versprechen gegeben haben, alle zehn Jahre das Passionsspiel aufzuführen, sofern die Pest ein Ende hat. Das Gelübde gilt bis heute als dankbar lobendes Bekenntnis. 1634 wurde der Friedhof um die Kirche als Bühne genutzt. Heute steht in Oberammergau laut eigenen Angaben "die größte Freiluftbühne mit überdachtem Zuschauerraum weltweit" mit rund 4.500 Sitzplätzen. Fast die Hälfte des Dorfes, etwa 2.400 Darstellende, steht im Laufe des Stücks auf der Bühne. Die Erwachsenen sind laut Spielrecht in Oberammergau geboren, oder leben mindestens 20 Jahre im Ort. Das Dorf erwartet normalerweise 450.000 Besucherinnen und Besucher aus aller Welt zu 104 Spielterminen.
Die 42. Oberammergauer Passionsspiele finden vom 14. Mai bis 2. Oktober 2022 statt. Bei den "Jugendtagen 2022" soll es erstmals ein Rahmenprogramm für bis zu 8.000 junge, auch jüdische Menschen geben. Ein Wochenende mit reduzierten Eintrittspreisen und Einführungen soll am 7. und 8. Mai ein Treffen der Jugendlichen mit Theologen, Theologinnen und Darstellenden ermöglichen.
(Infos: www.passionsspiele-oberammergau.de)
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Quelle: kathpress