
Expertin: Kirchenkunst regt zu Grundsatzfragen an
Kirchen sind "Möglichkeitsräume", die dazu einladen, "alltäglichen Zwängen zu entfliehen" und - auch über die dort vorfindliche Kunst - grundlegende Fragen an sich selbst zu stellen. Darauf hat Anna Minta, Professorin für Geschichte und Theorie der Architektur an der Katholischen Privatuniversität (KU) Linz, im Interview der "Oberösterreichischen Nachrichten" (22. November) aufmerksam gemacht. "Kunst in der Kirche kann mich inspirieren, sie kann aber auch wütend machen und zu Kritik anregen", wies sie hin. Im Kirchenraum könne man verschiedenen Ansichten zu großen gesellschaftlichen Themen begegnen, die zu ganz neuen Positionen herausfordern bzw. "auch als Reibungsfläche dienen".
In dem von Minta an der KU Linz durchgeführten Projekt "Frauenbilder im Mariendom" habe sie zunächst gemeinsam mit Studierenden die diesbezügliche "Programmatik" im Dom untersucht. Frauen erschienen dort vor allem als karitative arbeitend, sich für andere aufopfernd. Anschließend beschäftigten sich die Künstlerinnen Margit Greinöcker und Zoe Goldstein mit den Darstellungen.
Dadurch sei ein Gegenwartsbezug hergestellt worden, erklärte Minta: "Die meisten Leute fühlen sich nicht angesprochen, wenn sie an einer Reihe von Glasfenstern vorbeigehen. Durch das Projekt haben wir aktuelle Fragen über Geschlechterrollen gestellt: Wie gehen wir mit diesen lieben Frauenbildern in der Kirche um? Was heißt es heute, Care-Arbeit zu leisten? Was heißt es, Mutter oder Vater zu sein?" Sie sehe es als große Chance für die Kirche, sich zu positionieren, Diskussionen anzuregen und so ihre gesellschaftliche Relevanz zu stärken, sagte die KU-Professorin. Auch aktuelle Debatten wie z.B. über Armut oder Toleranz würden Grundwerte der Kirche aufgreifen. "Sie kann über die Kunst in die Diskussion einsteigen."
"Genderfluidität" auf Glasfenstern
Dabei könnten sich überraschend aktuelle Fragestellungen ergeben - wie im Projekt "Frauenbilder im Mariendom" zur Debatte über Genderfluidität und Transsexualität: Minta berichtete von einem Glasfenster im Dom, das vom Stift St. Florian gestiftet wurde. Wie damals üblich, wurden die Gesichter der Stifter - in diesem Fall der Ordensmänner - in den Gemäldefenstern dargestellt. "Deshalb trägt sogar die heilige Valeria die männlichen Züge eines Chorherren." Religiöse Personen aus der Transsexuellen-Community hätten die Ablehnung thematisiert, die sie in der Kirche erfahren. "Es ist also durch solche Projekte auch möglich, Themen in den Fokus zu stellen, die sonst in der Kirche schwierig anzusprechen wären", folgerte Minta.
Eine Kirche müsse "eine gewisse spirituelle Atmosphäre bieten", um Besucher aus dem Alltag herauszuholen und sie zum Nachdenken "über die großen Fragen" anzuregen. Das heißt für die Architekturfachfrau aber nicht, dass alle Kirchen historisch oder historisierend sein müssen. Das Kunstreferat der Diözese Linz sorge in überzeugender Weise auch für "zeitgenössische Gestaltungsansätze". Als Beispiel verwies Minta auf den neugestalteten Altarraum des Mariendoms. "Auch das kann und soll zum Nachdenken anregen."
Anna Minta spricht im Rahmen der Veranstaltungsreihe "KU_biläum" anlässlich des 350-jährigen Bestehens der Linzer Hochschule am Mittwoch um 18 Uhr im Bischofshof in Linz über "(Zeitgenössische) Kunst in der Kirche - Orte für Begegnungen". Gemeinsam mit anderen Fachleuten geht sie der Frage nach, wie zeitgenössische Kunst als Vermittler zwischen Besuchern und Kirche fungieren kann.
Infos: https://ku-linz.at/universitaet/kubilaeum
Quelle: Kathpress