Linzer Bischof: "Vertrauen und Hoffnung sind nicht irrational"
Die von Weihnachten ausgehende Botschaft der Hoffnung hat Bischof Manfred Scheuer betont. "Vertrauen und Hoffnung sind nicht irrational. Damit ist Weihnachten verbunden, daran erinnern wir uns seit der Kindheit", sagte er im Interview der "Oberösterreichischen Nachrichten" am Samstag (24. Dezember). Ausführlich ging der Linzer Bischof in dem Gespräch unter anderem auf den Vertrauensverlust in Politik, Medien und Kirche als Herausforderung für die Gesellschaft ein. Ein Hoffnungszeichen sieht der Bischof etwa in den vielen Menschen, die Ältere pflegen oder sich für Kinder einsetzen. Und Scheuer registriert eine "neue Nachdenklichkeit" im Land zur Frage "Was brauche ich wirklich, worauf kann ich verzichten."
"Ich habe nicht geglaubt, dass es so weit kommt; ich dachte Putin werde das nicht riskieren", sagte der Linzer Bischof über den "schrecklichen" russischen Krieg in der Ukraine. Über das Leid der vom Krieg direkt Betroffenen Menschen hinaus habe der Krieg auch unmittelbare Auswirkungen auf den Alltag der Menschen hierzulande. "Wir spüren das auch. Das alles ist einschneidend, und es löst unterschiedliche Reaktionen aus: Lähmung, Resignation", beschrieb der Bischof.
Der wahrnehmbare Vertrauensverlust betreffe Politik, Medien und Kirche gleichermaßen, so Scheuer weiter, aber: "Vertrauen kann man nicht erzwingen." Andererseits beobachte er auch die Mentalität, für Schwierigkeiten jemanden verantwortlich zu machen oder Sündenböcke zu suchen. "Einfache Lösungen gibt es aber nicht, Zwangslösungen auch nicht. Da wird in die Politik zu viel Erwartung hineinprojiziert."
Um mit Lebensmut an Dinge herangehen zu können, brauche es ein gewisses Maß an Urvertrauen, zitierte Scheuer den Psychologe Erik Erikson. "Natürlich weiß ich, dass es gegenwärtig bei manchem die Tendenz gibt, keinem mehr zu trauen. Aber wenn das Leben nur noch aufgebaut ist auf Kontrolle und Abgrenzung, muss man sich nicht wundern, wenn man alleine bleibt. Vertrauen entsteht durch die Einsicht, ich bin gewollt, selbst, wenn ich Mist gebaut habe."
Auch er selbst erlebe Phasen der Ratlosigkeit und fehlenden Zuversicht. "Das passiert nicht so selten. Dadurch, dass ich gebraucht werde, kann ich aber Ohnmacht überwinden." Ein wichtiger Faktor zur Überwindung von Momenten der Hoffnungslosigkeit sei für ihn auch körperliche Bewegung. "Diese Woche bin ich zum Beispiel meine erste Skitour der Saison gegangen. Ich gehe mir manchmal den Frust und die Aggression vom Leibe."
Politik eine "schwere" Aufgabe
Auf Nachfrage blickte Scheuer auch erneut auf die Jahre seit Beginn der Corona-Pandemie zurück. Er habe den Eindruck, dass in dieser Zeit das Bewusstsein von Solidarität zunächst stark gewachsen sei, sagte der Bischof. "In der Pandemie hat sich aber auch gezeigt, dass man das Leben nicht nach Zuständigkeiten aufteilen kann, sondern es braucht ein Aufeinander-Schauen und Vertrauen. Das ist teilweise ramponiert worden." Scheuer: "Ich glaube nicht, dass wir schon wieder ganz zueinander gefunden haben. Aufeinander hören, sich vielleicht zu entschuldigen, das wird nötig sein, wenn es einen guten gemeinsamen Weg geben soll."
In der Pandemiezeit ist nach Ansicht Scheuers die Bedeutung der Wissenschaft zum Ausdruck gekommen. Klar geworden sei auch, dass die Politik eine Herausforderung nicht nur technisch-wissenschaftlich lösen könne, sondern auch ethische und soziale Fragen abwägen muss. "Meines Erachtens wurde deutlich, wie schwer und verantwortungsvoll die Aufgabe der Politik ist", sagte der Bischof.
Zum Thema des Umgangs mit Flüchtlingen, hob Scheuer die große Bereitschaft vieler hervor, Geflüchtete zum Beispiel aus der Ukraine aufzunehmen. "Da wurde viel geleistet." Bei Migration insgesamt gebe es aber auch "Herausforderungen und Enttäuschungen". So lägen die Wurzeln vieler Wanderungsbewegungen in Afrika - "und diese Wurzeln zu behandeln, das gelingt uns zur Zeit nicht, weil Europa Afrika nicht ausreichend wahrnimmt", hielt Scheuer fest. Angesichts des Arbeitskräftemangels in manchen Bereichen brauche es aber auch eine geordnete Migration. "Sonst würde vieles vor dem Kollaps stehen."
Weihnachten ein "Fest des Neubeginns"
Weihnachten sei ein "Fest des Neubeginns", betonte Bischof Scheuer am 24. Dezember auch in einem Gastkommentar im "Oberösterreichischen Volksblatt". "Die ersehnte Friedlichkeit ist zu Weihnachten als Auftrag zu verstehen, im Kleinen zu beginnen, wach für Frieden zu sein: den ersten Weg der Versöhnung zu beschreiten, die Türen offenzuhalten für Begegnung, wertschätzend zu bleiben auch bei unterschiedlicher Meinung", hielt der Bischof fest. Die Menschwerdung Gottes in einem Kind gebe Hoffnung auf diese Wege zum Frieden. "Die Hoffnung auf Frieden - auch in den Weltkonflikten - dürfen wir uns niemals nehmen lassen", rief Scheuer auf.
Quelle: kathpress