Opfer der Shoah: "Kaddish" mit dem Papst
Gedenken für die während des NS-Regimes ermordeten jüdischen Österreicher - Oberrabbiner Eisenberg überreichte dem Papst eine eigens verfasste Botschaft der Israelitischen Kultusgemeinde
Papst Benedikt XVI. hat am Freitag auf dem Wiener Judenplatz der bei der Shoah ermordeten jüdischen Österreicher gedacht. Vor dem von Rachel Whiteread entworfenen Mahnmal verharrte der Papst im strömenden Regen im stillen Gedenken, während Oberrabbiner Paul Eisenberg "Kaddish" betete, jenen kurzen Lobpreis Gottes, der immer beim jüdischen Totengedenken erklingt.
Benedikt XVI. begrüßte aus der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien neben Eisenberg auch Präsident Ariel Muzicant und Generalsekretär Raimund Fastenbauer. Die IKG Salzburg war durch ihren Präsidenten Marco Feingold, die IKG Graz durch Präsident Gerard Sonnenschein, die IKG Linz durch Präsident George Wozasek und die IKG Innsbruck durch Esther Fritsch vertreten. Eisenberg überreichte dem Papst eine eigens verfasste Botschaft der IKG.
Eisenberg: "Papst reißt das Böse aus"
Auf die schrecklichen Geschehnisse bei der Judenverfolgung 1421 - Hunderte wählten damals statt der Zwangstaufe den Freitod - verweisen das Museum im Misrachi-Haus, die Ausgrabungen der Or-Sarua-Synagoge, das spätgotische Relief am Jordan-Haus und die Tafel, die auf Initiative von Kardinal Christoph Schönborn im Oktober 1998 an der Volksschule der Erzdiözese Wien angebracht wurde. Auf der Tafel werden diese Ereignisse und die Schuld der Christen benannt, die Reue der heutigen Christen wird betont.
Im Vorprogramm zur Ankunft des Papstes sagte Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg vor mehreren Tausend Schülern auf der Bühne des Platzes Am Hof, der Papst werde mit seinem Kommen "das Böse ausreißen".
Eisenberg zitierte dazu einen Bibeltext aus dem Buch Kohelet: "Alles hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Es gibt eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Säen und eine Zeit zum Ausreißen des Gesäten". In der Vergangenheit sei "viel Furchtbares" gesät worden, Benedikt XVI. werde dessen vor dem Shoah-Denkmal, aber besonders auch an der kirchlichen Tafel am Judenplatz gedenken. Dieses Gedenken komme "einem Ausreißen" gleich, sagte der Oberrabbiner.
Eisenberg betonte, dass das Judentum nicht nur in Trauer und nicht nur in der Vergangenheit lebe. Es gebe eine Gegenwart, und es gebe Freude über die Öffnung der katholischen Kirche.
Seitens des "Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit" nahmen u.a. die frühere Generalsekretärin der Katholischen Aktion, Ruth Steiner, der methodistische Altsuperintendent Helmut Nausner, der frühere Vatikan-Botschafter Walter Greinert, Äbtissin Miriam Dinkelbach, der Publizist Hubert Feichtlbauer, Akademikerverbands-Präsident Paul Schulmeister, Barbara Coudenhove-Kalergi u.a. teil.
Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg trug bei seinem Treffen mit Papst Benedikt XVI. eine weiße Kippa, die sonst nur zu höchsten Feiertagen getragen werden darf, offenbar um Respekt vor der Begegnung mit dem Papst zu bezeugen.
Der Judenplatz bildete vom 13. Jahrhundert bis zum Pogrom 1421 ("Wiener Geserah") das Zentrum des mittelalterlichen jüdischen Wien. Hier stand die Or-Sarua-Synagoge, deren eindrucksvolle Reste über das Misrachi-Haus zu besichtigen sind. Das Mahnmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread für die österreichischen Opfer der Shoah wurde am 25. Oktober 2000 enthüllt und geht auf eine Initiative von Simon Wiesenthal zurück. Whiteread will die nach außen gekehrte steinerne Bibliothek als Zeichen für das Judentum verstanden wissen: Das "Volk des Buches" hat trotz aller Verfolgung überlebt und seine Identität bewahrt. Auf Bodenfriesen, die rund um das Mahnmal eingelassen sind, sind die Namen jener Orte festgehalten, an denen österreichische Juden während der NS-Herrschaft zu Tode kamen.
Nach dem Gedenken vor dem Holocaust-Mahnmal fuhr Benedikt XVI. mit dem "Papamobil" in die Apostolische Nuntiatur in der Theresianumgasse.