"Die Finanzwelt zähmen"
Die Politik muss einen deutlich stärkeren Willen zeigen, Lösungen für die Reform der internationalen Finanzmärkte auszuarbeiten und diese auch umzusetzen. So lautete der Tenor von Wirtschaftsexperten bei einer Podiumsdiskussion der Österreichischen Kommission "Iustitia et pax" am Mittwochabend in Wien. Moderiert von der Sozialethikerin Ingeborg Gabriel diskutierten die Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister und Kurt Bayer, der Steuerrechtsexperte Michael Lang und der Ex-Bankvorstand und "Furche"-Mitherausgeber Wilfried Stadler über Wege zur politischen Zähmung der globalen Finanzwirtschaft und die mögliche Rolle von Kirchen und Zivilgesellschaft dabei.
Eine ohne gemeinsame Spielregeln vorgenommenen Deregulierung und Totalliberalisierung der internationalen Finanzmärkte seit Mitte der 1990er-Jahren hätte die Welt in eine krisenhafte Situation gebracht, warnte Ex-Bankvorstand Stadler in dem Gespräch. Ziel müsse nun sein, den Primat der Politik über die Spielregeln der Finanzwirtschaft wiederherzustellen. Dies müsse rasch geschehen, so Stadler. Neudeutsch mit dem Schlagwort "Wallstreet versus Mainstreet" umschrieben, erlebe man nämlich aktuell die Frage, ob "das 'bonum commune' (Gemeinwohl) noch politisch durchsetzbar ist oder nicht", erinnerte Stadler und warnte: "Sollte uns das in den nächsten Jahren nicht gelingen, dann kommt es zu einer Delegitimierung des gesamten Marktsystems."
Änderungen brauche es vor allem bei den Regeln für das Eigenkapital und die Bilanzierungsvorgaben von Banken. "Das System lässt sich korrigieren bei gutem politischen Willen - ich weiß nur nicht, wo wir den hernehmen", so Stadler wörtlich. Angesichts der komplexen Situation sei es jedoch schon positiv, "dass es benennbare Druckpunkte gibt, die man ändern kann, damit man wieder zu einem funktionieren marktwirtschaftlichen, an der Realwirtschaft orientieren Bankensystem kommt".
"Selbstentmündigung der Politik"
Deutlich pessimistischer äußerte sich Stephan Schulmeister. Die Finanzakteure hätten "eine Welt geschaffen, deren Komplexität so grotesk ist, dass sie auch nicht regulierbar ist". Die Politik könne dies ändern, ihr fehle aber das Problembewusstsein. Realpolitisch sieht der Wirtschaftsforscher derzeit kaum Chancen auf eine globale Einigung zu Finanzmarktreformen.
Schulmeister prangerten einen "Prozess der Selbstentmündigung der Politik" in Marktfragen an. Mitschuld daran sei auch jene Teile der akademischen Wirtschaftswissenschaft, "die seit 40 Jahren eine Weltanschauung predigen, dass eine unsichtbare Hand der Marktkräfte sowieso alles zum Besten lenkt und sich daher der Mensch den Märkten anzupassen hat". Daraus, so Schulmeister, habe sich ein "selbstzerstörendes System" entwickelt, dessen Performance sich in den Bereichen Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Armut oder Umwelt stetig verschlechtere. Der Politik fehle jedoch das Bewusstsein für diese Entwicklung. Schon jetzt gelte es daher Konzepte für eine Zeit vorzubereiten, "wo eine neue Krise die Lernfähigkeit der Eliten wieder verstärkt".
Globale Ordnungsinstanz
Die bisherigen Krisenbewältigungsstrategien hätten gezeigt, dass in der Finanzmarktregulierung im Wesentlichen das Vorkrisenmodell weitergeführt werde, sagte der frühere Exekutivdirektor der Weltbank, Kurt Bayer. Er sprach sich für einen neuen Anlauf aus, um über eine neue weltweite Governance-Institution zu globalen verpflichtenden Regeln zu kommen.
Regulierungen brauche es nicht nur bei den weltweiten Finanzmärkten und Wechselkursentwicklungen, sondern auch bei den Themen Armutsbekämpfung, grenzüberschreitende Investitionen, Arbeitsmärkte, soziale Anliegen, Klimawandel und Ressourcenverbrauch sowie bei der Bekämpfung internationaler Kriminalität. Wesentlich sei, so Bayer, dass eine solche Governance-Institution breit aufgestellt werde, damit durch sie nicht nur die Interessen der Mächtigen vertreten werden.
Rolle der Kirchen
Unmittelbarer Anlass der Podiumsdiskussion war das Schreiben "Auf dem Weg zu einer Reform des internationalen Finanz- und Währungssystems auf der Basis einer globalen Ordnungsinstanz" des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden ("Iustitia et pax"), das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Der Vatikan äußerte darin schon 2011 Vorschläge für eine neue Weltfinanzordnung auf Basis einer globalen, demokratisch legitimierten Institution und forderte etwa auch konkret die Schaffung einer Finanztransaktionssteuer.
Michael Lang, Professor für internationales Steuerrecht an der Wirtschaftsuniversität, würdigte das prinzipielle Engagement der Kirche in diesen Fragen. "Das tut der Kirche gut und das tut der Gesellschaft gut." Zurückhaltender äußerte sich Lang zur Tatsache, dass das "Iustitia et pax"-Papier nicht nur allgemeine Überlegungen, sondern auch konkrete Lösungsvorschläge enthalte, die sich möglicherweise in Zukunft auch als falsch herausstellen könnten. "Ich frage mich, ob nicht eher die Rolle der Kirche die sein sollte, den Finger auf die Wunde zu legen. Sie muss sagen, was die Gesellschaft schmerzt, es artikulieren, aber ob die Kirche sagen sollte, es gibt die eine Lösung schlechthin für das Problem, da habe ich ein bisschen Bauchweh."
Kurt Bayer verwies zur künftigen Rolle der Zivilgesellschaft auf die fortschreitende Delegitimierung des demokratischen Systems. Die Politik habe "immer weniger mit den normalen Nöten der Menschen zu tun", sagte der Ökonom. Deshalb sei es wesentlich, dass die Kirchen und alle anderen Teile der Zivilgesellschaft in künftige Strukturen deutlich stärker eingebunden sind und sich in die Entscheidungsprozesse viel stärker einschalten.
"Wir können nicht mehr darauf vertrauen, dass unsere Politiker im Interesse der Allgemeinheit das Beste für uns machen, sondern müssen uns da stärker alle einmischen", forderte Bayer. In diesem Zusammenhang sei es auch wichtig, dass Institutionen wie die katholische Kirche zu einer Mobilisierung der Bevölkerung beitragen, damit sich diese engagiere.