Küng plädiert für ganzheitliche Sexualpädagogik
"Familien-Bischof" Klaus Küng hat die Bedeutung einer guten Sexualpädagogik für das Heranwachsen junger Menschen betont. Die Probleme in diesem Bereich seien in Österreich sehr groß, er könne zudem das Gefühl der Ohnmacht vieler Eltern bei diesem Thema verstehen, sagte er zum Auftakt einer internationalen Tagung über "Herausforderungen für eine entwicklungssensible Sexualpädagogik" am Freitagabend in St. Pölten. "Viele Jugendliche leiden großen Schaden, weil sie keine Orientierung für ihre Beziehungen und Sexualität erhalten", betonte Küng. Aus seinen jahrelangen Begegnungen mit Jugendlichen und auch Ehepaaren wisse er um die "schmerzhaften" persönlichen Krisen, die vielfach daraus entstünden.
Küng plädierte für eine Sexualerziehung, der ein "ganzheitliches Verständnis des Menschen" zugrundeliegt. Der Ansatz einer solchen ganzheitliche Sexualpädagogik sei "ausgereift", "total positiv" und habe große Chancen verstanden zu werden, so der Bischof. Küng lobte in diesem Zusammenhang den neuen Studiengang "Entwicklungssensible Sexualpädagogik", der ab Herbst an der Hochschule Heiligenkreuz angeboten wird. Er hoffe darauf, "dass hier etwas gelingt, wofür die Zeit tatsächlich reif ist".
Bei der von der Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz geleiteten Tagung im Hippolyt-Haus in St. Pölten wird bis Sonntag unter dem Titel "Leib - Bindung - Identität" in einer sachgerechte und wissenschaftlich ausgewiesenen Auseinandersetzung das Bild einer wertorientierten Sexualität entworfen. Vorträge von Experten wie dem Psychotherapeuten Christian Spaemann, dem deutschen Psychiater und Klinikleiter Arnd Barocka, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung Düsseldorf, Jakob Pastötter, oder dem katholischer Religionsphilosophen Jörg Splett, werden dazu mit zahlreichen Workshops etwa zum Thema "Sexualpädagogik und Eltern", aber auch "Missbrauchs- und Gewaltprävention" ergänzt.
Gegen "ideologische" Sexualpädagogik
Spaemann schilderte in seinem Eröffnungsvortrag am Freitagabend Perspektiven für eine "humane Sexualpädagogik", die auch der Jugend eine Sprache gibt. Mit Blick auf die aktuellen Debatten um den neuen Erlass des Unterrichtsministeriums zur schulischen Sexualkunde unterschied er diese deutlich von einer "ideologischen" Sexualpädagogik, die Jugendlichen die Sprache zu diesem Thema nehme. "Wenn wir von Sexualerziehung sprechen, sprechen wir von Wissenserwerb, ja, aber noch mehr über Persönlichkeitsbildung", sagte der Psychotherapeut und plädierte für einen genauen Blick auf die "Beziehungen des Zusammenlebens"; dieser sei wichtig, um die Frage der Sexualität besser zu verstehen.
Spaemann wandte sich gegen eine auf der Gendertheorie basierende Relativierung der geschlechtlichen und sexuellen Identität des Menschen, aus der eine "sexuelle Vielfalt" als neues gesellschaftliches Leitbild abgeleitet werde. Für die Sexualpädagogik bedeutet dies nämlich, dass nur noch sexuelle Lust als gemeinsamer Nenner beliebiger Lebensformen übrig bleibe, so der Experte.
Er sprach sich zudem für einen Verzicht der Verwendung des Begriffs "Sexualerziehung" im Zusammenhang mit dem schulischen Unterricht aus und rief dazu auf, bei Sexualpädagogik jedenfalls zwischen Elternhaus, schulischer und außerschulischer Sexualkunde zu unterscheiden. Schulischer Sexualkundeunterricht solle in erster Linien informieren, dürfe jedoch nie die Schamgrenze überschreiten und sexuelle Selbsterfahrung forcieren, forderte Spaemann.
Klare Worte fand Spaemann auch zur Verteidigung des Familienbilds von "Vater, Mutter, Kind"; es sei "nicht in sich diskriminatorisch", sondern vielmehr gesellschaftlich die "stärkste Tragkraft". Drei Viertel der Kinder lebten bei ihren leiblichen Eltern, erinnerte der Psychotherapeut.
"Kultivierung der Liebe"
Tagungsleiterin ist die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. "Ganzheitliche Sexualpädagogik "lehre nicht, "wie man sich 'Lust' jetzt und hier, egal mit wem, verschafft, sondern wie man den Richtigen, die Richtige erkennt", sagte sie in einem Interview für die aktuelle Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag". Ganzheitliche, also "umfassende", Sexualpädagogik anerkenne, dass Leib, Liebe und Leben tief verwurzelt seien. Sie zeige Werte, wie den eigenen Körper zu kennen, aber auch Haltungen im Sinne einer "Kultivierung der Liebe", so Gerl-Falkovitz. Sie zählt dazu etwa "Achtung vor dem anderen Geschlecht, Wartenkönnen, Sehnsucht zulassen, Werben". Jedenfalls arbeite entwicklungssensible Sexualpädagogik altersgerecht, so die Expertin: "Sie tischt nicht schon Detailkenntnisse auf, die noch gar nicht gefragt sind."
Sexualerziehung sei eine große Kulturleistung und Pflicht, die nicht von den Eltern zur Schule wandern sollte, betonte Gerl-Falkovitz weiters. Eltern könnten in diesem Bereich viel besser auf ihre Kinder eingehen, als Lehrkräfte. Aufklärung brauche mehr als nur Sachinformation, sondern das bewusste und unbewusste Lernen darüber, was Liebe heißt, am Beispiel von Vater und Mutter. Gerl-Falkovitz: "Wenn Schule nur Sach-Aufklärung leistet, tut sie zu wenig. Wenn sie zu Sexualpraktiken anleitet, tut sie entscheiden zu viel."