Barmherzigkeit wichtiger als Vorschriften
In der Ökumene wird in der Praxis einiges vorweggenommen, was offiziell noch nicht möglich ist. Zu dieser Einschätzung kommt der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Superintendent Lothar Pöll, im "Kathpress"- Interview. Die Entwicklung gehe in jene Richtung, die auch Papst Franziskus immer wieder einschlägt: "Die Barmherzigkeit ist wichtiger als die genaue Einhaltung von kirchlichen Vorschriften."
Pöll sprach diesbezüglich etwa die gemischt-konfessionellen Ehepaare und die Frage des Zugangs zur Kommunion an: "Es wäre eine große Hilfe, wenn die Ehepartner auch an der Eucharistie der jeweils anderen Kirche teilnehmen könnten". Der ÖRKÖ-Vorsitzende wünschte sich eine Art "Gastmitgliedschaft" in anderen Kirchen, damit etwa der evangelische Ehepartner als vollwertiges Mitglied in einer katholischen Pfarrgemeinde mitleben kann, "ohne die eigene Tradition aufzugeben". Bei katholisch-evangelischen Paaren funktioniere dies in der Praxis oft schon sehr gut, so der ÖRKÖ-Vorsitzende: "Die Menschen handeln ihrem Gewissen nach und können auch gar nicht mehr anders."
Pöll äußerte sich gegenüber "Kathpress" im Vorfeld der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen (18.-25. Jänner). Als Pöll Anfang 2014 sein Amt als Vorsitzender des ÖRKÖ antrat, wollte er "viele kleine Schritte zur Vertiefung der Beziehungen zwischen den Kirchen setzen". Das sei seither durchaus gelungen, so seine Bilanz. Sehr gut funktioniere die Zusammenarbeit der Kirchen etwa im gesellschaftspolitischen und sozialen Bereich. Er verwies u.a. auf die aktuellen Herausforderungen durch den internationalen Terror oder die großen Flüchtlingsströme. Quer durch alle Konfessionen würden die Kirchen bzw. auch die kirchlichen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, so Pöll.
Eine große Herausforderung für alle Kirchen sei die Beziehung zum Islam bzw. zu den Muslimen, führte der ÖRKÖ-Vorsitzende weiter aus. "Wie gehen wir als christliche Kirchen mit unseren muslimischen Mitbürgern um?" Dass hier orthodoxe und vor allem altorientalische Kirchen weit zurückhaltender seien als westliche Kirchen sei aufgrund der geschichtlichen wie auch gegenwärtigen Erfahrungen der Christen im Nahen Osten nur allzu verständlich. Gerade deshalb sei aber auch der Austausch innerhalb der Kirchen so notwendig.
Notwendig sei auch eine gemeinsame Linie, wie die Kirchen mit Muslimen umgehen, die zum Christentum konvertieren wollen. Hier stimme man inzwischen darüber überein, dass es eine ausführliche Vorbereitung und Unterrichtung der Taufwerber brauche. Diese sollte mindestens ein Jahr lang dauern, so Pöll.
Unterschiedlich seien noch die theoretischen und praktischen Zugänge der Kirchen zu gemischt-religiösen Paaren. Das betreffe etwa die Hochzeit von christlich-muslimischen Paaren wie ganz grundsätzlich deren seelsorgliche Betreuung, wobei in den orthodoxen Kirchen die kirchliche Eheschließung mit einem Muslimen gar nicht möglich ist.
Der ÖRKÖ-Vorsitzende verwies zugleich auf die neue Broschüre "Solidarische Gemeinde", die aus dem Prozess "sozialwort 10+" entstanden ist und dieser Tage erscheint. Damit wolle man Hintergrundinfos zu sozialen Fragen und konkrete Handlungsanregungen liefern, wie die Pfarrgemeinden und andere kirchliche Gruppierungen ihr soziales Profil noch schärfen können. Die Kirchen hätten die Aufgabe, die "Option für die Armen" verstärkt aufzugreifen, unterstrich Pöll.
"Je mehr wir unsere Beziehungen vertiefen und Vertrauen schaffen, umso mehr wird möglich" zeigte sich Pöll zuversichtlich. Derzeit hat der ÖRKÖ 16 Mitglieder. Darüber hinaus arbeiten eine Reihe von kirchlichen Organisationen als Beobachter mit.
Abschied nehmen mussten die Kirchen 2015 von Oberin Christine Gleixner. Sie sei im wahrsten Sinne des Wortes die "Mutter der Ökumene" in Österreich gewesen so Pöll. Viel ökumenische Initiativen seien ohne Gleixner schlicht nicht möglich und undenkbar gewesen. Sie war auch (von 2000 bis 2005) die erste und bislang einzige weibliche Vorsitzende des Ökumenischen Rates.
(Infos: www.oekumene.at)
Quelle: kathpress