Glauben von überkommenen Formen unterscheiden
Angesichts "gewaltiger Veränderungsprozesse" innerhalb und außerhalb der Kirche gilt es wieder neu zu lernen, "zwischen Tradition und Traditionen zu unterscheiden". Für den Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl stellt sich dabei die Frage: "Was gehört zum Glauben, und was sind überkommene Formen, die auch veränderbar sind?" Diese Unterscheidung mag Unsicherheit erzeugen, "kann aber auch in Zeiten der Veränderung helfen, Gott als tragenden Grund zu erkennen", so Krautwaschl in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Denken + Glauben" der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Graz.
"Wir haben lange zu stark auf den Erhalt bestehender Strukturen geschaut und nicht so sehr darauf, ob man diese auch wirklich braucht", erklärte der Bischof im Hinblick auf anstehende Weichenstellungen in der Diözese Graz-Seckau. Über die Zukunft der Seelsorge sagte er in dem ausführlichen Interview anlässlich seines Amtsantrittes vor einem Jahr und des 70-Jahr-Jubiläums der KHG Graz: "Wir meinen oft, den Leuten nur dann Halt zu geben, wenn wir der Fels in der Brandung sind. Das was uns tatsächlich trägt, ist aber Gott - und nicht gewisse Formen, wie sie sich in der Kirche in den letzten Jahrhunderten auch segensreich entwickelt haben."
Die katholische Kirche in der Steiermark hat 2012 einen "Diözesanen Weg" gestartet, dessen Ziele sind, die Seelsorge neu auszurichten, die Freude am Glauben zu erneuern und die Gesellschaft im Sinne der Frohbotschaft mitzugestalten. Spätestens beim 800-Jahr-Diözesanjubiläum 2018 sollen hier laut Bischof Krautwaschl Veränderungen sichtbar sein.
Freiräume zum "Hinausgehen" schaffen
Glauben ist für Krautwaschl Quelle von Lebensfreude und "der kreative Möglichkeitssinn". Der Glaube werde oft vorschnell "verengt auf Religiosität, Konfessionalität und Kirchlichkeit". Nicht nur für die Hochschulseelsorge sei eine "Perspektivenumkehr" erforderlich: "Die jungen Leute, die da sind, helfen mir, das Evangelium neu zu entdecken." Ein Sich-Aussetzen eröffne Neues jenseits ausgetretener Wege. In der Kirche würden sich alle "unendlich abmühen" um dieselben Zielgruppen, "und oft bleibt dann keine Kraft mehr, um 'hinauszugehen'".
Krautwaschl plädierte dafür, Kräfte zu bündeln, um Doppelgleisigkeiten zu vermeiden und Freiräume zu gewinnen. "Wir haben - um ein Beispiel zu nennen - viele Organisationen in unserer Diözese, die sich der Entwicklungszusammenarbeit widmen. Es kann sein, dass das berechtigt ist. Jedenfalls aber braucht es Sichtung, Zusammenschau und Profilbildung." Synergien seien zum Beispiel auch bei Bildungseinrichtungen wie der KHG und dem Bildungshaus Mariatrost sinnvoll, die seit geraumer Zeit kooperieren.
Kirche werde in Zukunft noch stärker von jenen mitgetragen, die sich aus Taufe und Firmung heraus engagieren, prognostizierte der Grazer Bischof. "Das nicht nur wegen des Priestermangels, sondern weil es zum Wesen der Kirche gehört." Um das "innerkirchlich und gesellschaftlich neu auszubalancieren", gelte es "neu zu denken" und sich "im Vertrauen auf Gott heraus aus dem Schneckenhaus" zu bewegen.
Angstabbau auch in Flüchtlingsfrage
Dass Angst kein probates Mittel zur Bewältigung anstehender Herausforderungen ist, ist für Krautwaschl auch am Flüchtlingsthema ersichtlich. Angst entstehe bei Konfrontation mit etwas Neuem und lasse Fakten - etwa die Kriminalitätsstatistik - ausblenden. "Es wird aber nicht besser, wenn wir uns nur zurückziehen und aggressiv das verteidigen, was vielleicht noch an Identität da ist", warnte der Bischof. Er stimmte der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zu, die auf die vermeintliche Bedrohung durch den Islam einmal sinngemäß angemerkt habe: "Wer hindert uns, unseren Glauben wieder neu zu leben? Niemand."
"Im Einkaufssackerl nehmen wir die eine Welt wie selbstverständlich mit nach Hause. Wir tun uns sehr viel schwerer, wenn die eine Welt vor unserer Haustür steht - in konkreten Personen." Dabei auftretende Vorbehalte verstehe er, bekannte Krautwaschl. "Ich tue mir auch nicht leicht, allen Menschen sofort gleich zu begegnen. Dennoch habe ich in meinem Leben gelernt, es lohnt sich, den Schritt hinaus zu tun, und sich einzulassen."
Quelle: kathpress