Schau "Fragile Schöpfung" im Dom Museum Wien trifft Nerv der Zeit
"Fragile Schöpfung": Man kann sich kaum einen Titel vorstellen, der in Zeiten von Pandemie und Umweltzerstörung den Nerv der Zeit besser treffen würde als eben jener für die neue Sonderausstellung im Dom Museum Wien. Direktorin und Kuratorin Johanna Schwanberg wählte dafür mit Ko-Kurator Klaus Speidel naturgemäß viel Zeitgenössisches aus, die Exponate unterstreichen jedoch, dass das Thema weit in die Kunst- und Kulturgeschichte zurückreicht. Werke vom Mittelalter bis zur Gegenwart veranschaulichen die künstlerische Auseinandersetzung mit der komplexen Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Die Ausstellung ist von 1. Oktober 2020 bis 29. August 2021 geöffnet.
Schwanberg erklärte zur gesellschaftspolitisch erneut brisanten vierten Jahresschau seit der Neueröffnung des Museums der Erzdiözese Wien, sie habe "nicht nur Endzeitutopien" unter dem Eindruck der Öko-Krise integrieren wollen, sondern auch durchaus liebevolle Beziehungsformen zwischen Mensch und Natur. Verdeutlicht wird dies bereits im Werk, das für Plakate, Katalog und Folder verwendet wurde: Der im Frühjahr verstorbene, österreichische Künstler Lois Weinberger zeigt auf "Die Erde halten" (2010) einen Mann, der ein Häufchen Erde wie ein Baby auf Hand und Unterarm liegen hat. Daneben im ersten Raum eine Fotoserie des gebürtigen Tirolers mit dem programmatischen Titel "Ich stehe dem Geschehen, welches allgemein als Natur bezeichnet wird, bei".
Für ein Haus wie das Dom Museum Wien birgt das Thema "Fragile Schöpfung" laut Schwanberg zahlreiche religiöse Aspekte - und auch Ambivalenzen, festzumachen an dem oft ausbeuterisch missverstandenen Auftrag Gottes an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen. Ein Aquarell aus dem Stift Göttweig zeigt die Einschiffung der Tiere in die Arche Noah, auf dem neben friedlich einkehrenden Tierpaaren auch zusammentreibende Jagdhunde zu sehen sind. Diese Leihgabe ist symptomatisch für die neue Ausstellung, die - wie die Museumsdirektorin berichtete - mehr als frühere auf regionalen Kooperationen etwa mit Stiften wie Heiligenkreuz oder Klosterneuburg und auch auf vom Museum erworbenen Auftragswerken an die heimische Kunstszene setzt. Dadurch seien lange Transportwege vermieden worden - gerade in Corona-Zeiten ein Plus.
Vielschichtigkeit von Natur
Wie schon bei früheren Ausstellungen arbeitete das Kuratorenduo mit Gegenüberstellungen von alter und zeitgenössischer Kunst: Gleich im ersten Raum wird Alessandro Araldis Renaissance-Gemälde "Sacra Conversazione" (1510) mit Maria und dem Jesuskind vor einer idyllischen Naturlandschaft in Beziehung gesetzt zu einem Kinderwagen, aus dem Topfpflanzen emporwachsen: Mark Dions Nursery (2007) zeigt Natur als etwas, das wie ein Baby behütet werden muss. Raum 2 dominiert ein floral reich besticktes liturgisches Gewand - die barocke Kollonitz-Kasel aus den Beständen der Domkirche St. Stephan; sie ist umgeben von künstlerischen Aneignungen unter dem Titel "Geist und Natur", die darauf Bezug nehmen, dass schon die Benennung des Geschaffenen dessen Unterwerfung bedeutet.
Blickfang im geteilten größten Raum des Museums sind drei Beispiele aus Betty Beiers "Erdschollenarchiv", mit dem die deutsche Künstlerin ökologische und kulturelle Verluste durch ausbeuterisches Konsumverhalten darstellt. Passend zum Raum-Titel "Ausbeutung und Verantwortung" ist auch des Steirers Oliver Resslers Visualisierung der Tatsache, dass jeder Flug von New York nach London der Arktis drei Quadratmeter Eisfläche kosten.
Lebendiges Exponat Salzwasser-Aquarium
Eines der "spektakulärsten Exponate" erwartet die Besucher im hinteren Raumteil: Der Vorarlberger Matthias Kessler platzierte in einem Salzwasser-Aquarium einen Totenschädel, auf dem Korallen wachsen und eine kleine Garnele stelzt - ein lebendiges, Bild gewordenes Memento Mori mit der Hoffnungsbotschaft, dass aus dem Tod neues Leben erwächst.
Vom Blumenschmuck historischer Buchmalerei über die romantische Lust an der Urgewalt der Natur bis zu gesellschaftspolitischen und aktivistischen zeitgenössischen Positionen zeigt die Ausstellung verschiedene Naturvorstellungen auf und fragt nach dem Platz, den der Mensch sich darin einräumt. "Natur ist hier Rückzugsort, Inspirationsquelle, ein erhabener, Ehrfurcht gebietender Ort - und dabei oft nicht mehr als eine Ressource, deren Ausnutzung letztlich auch den Menschen selbst bedroht", heißt es in der Museums-Info. Neben weniger bekannten Namen sind in der Schau auch Werke von Joseph Beuys, Günter Brus und Arnulf Rainer in einer Gemeinschaftsarbeit, Caspar David Friedrich, Antoni Tapies und den Otto-Mauer-Preisträgerinnen Catrin Bolt und Nilbar Güres zu sehen.
Bisher gut durch die Krise gekommen
Auf Anfrage von Kathpress erklärte Direktorin Schwanberg, die Corona-Krise habe ihr Haus mit rund 50 Prozent weniger Besuchenden bisher weniger getroffen als andere Museen. Die vergangene Sonderausstellung "Family Matters" habe im Sommer wohl gerade durch das krisenbedingte Aufeinander-Verwiesensein im eigenen Heim eine gute Auslastung gehabt. Schwanberg konnte alle Mitarbeiter des Dom Museums halten, aus einem Depot für die Erweiterung der hauseigenen Bestände habe man bewusst jetzt Impulse für die heimische Kunstszene setzen wollen, die der Schau "Fragile Schöpfung" zugutekamen.
Zur Ausstellung erscheint ein 360 Seiten starker Katalog "Fragile Schöpfung" mit Beiträgen der Kuratoren Johanna Schwanberg und Klaus Speidel. Ein für Publikum begrenzt zugänglicher Rundgang durch die Schau findet am Donnerstag, 8. Oktober, um 18 Uhr anlässlich der Verleihung des Österreichischen Museumspreises 2020 an das Dom Museum Wien statt. Reguläre Öffnungszeiten sind Mittwoch bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. (Info: https://dommuseum.at)
Quelle: kathpress