
IKG-Präsident Rosen: Gelebten christlich-jüdischen Dialog anstreben
Für den neuen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg (IKG), Elie Rosen, muss der christlich-jüdische Dialog stärker auf der persönlichen Ebene stattfinden. "Ich glaube, dass der gelebte Dialog eigentlich das ist, was man anstreben muss und dass besonders die gelebte Vermittlung etwas ist, was von großer Bedeutung ist: das Aufeinander-Zugehen, das Vermitteln des wechselseitigen Alltags, auch des religiösen Alltags", sagte Rosen im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe). Anlass für das Gespräch ist der "Tag des Judentums" am 17. Jänner, den die Kirchen in Österreich, mit dem Ziel der Vertiefung des christlich-jüdischen Gesprächs, begehen.
Er sei "kein Freund des institutionalisierten Dialogs", es müsse vielmehr darum gehen, "reale Begegnungen" zu ermöglichen, "um uns kennenzulernen und uns nicht im Theoretischen zu ergötzen", so Rosen, der am 8. Jänner zum Präsidenten der jüdischen Gemeinde Salzburgs gewählt wurde. "Es ist immer schwieriger, so glaube ich, einander in dem anzunehmen, was einem nicht gemeinsam ist", zeigte er sich überzeugt.
Die Anfänge des christlich-jüdischen Dialogs hätten primär draus bestanden, sich wechselseitig zu versichern, was man alles gemeinsam habe. "Ich glaube, das ist keine Kunst, sich in dem anzunehmen, was man gemeinsam hat." Die Herausforderung bestehe vielmehr darin, den anderen anzunehmen "in dem, was und wie er anders ist. Und das sollten wir vermehrt lernen in der Begegnung", betonte der Salzburger IKG-Präsident.
Die Form der christlich-jüdischen Begegnung, die von Fachleuten betrieben werde und oft rein theoretischer Natur sei, hält Rosen für überholt. "Wenn man den gelebten christlich-jüdischen Dialog wirklich ernst nehmen und nicht nur exegetisch betreiben will", so Rosen, "dann geht es dabei immer um eine Form des Dialogs zwischen den Menschen". Das Gemeinsame sollte in erster Linie die Liebe zu den Menschen sein, so der Präsident der Kultusgemeinde. Dazu komme auf religiöser Ebene die monotheistische Dimension, die Christentum und Judentum verbinde.
In Graz, wo Rosen bisher als Gemeindepräsident fungierte, sei man stark in einer Vermittlerfunktion tätig. "Das heißt, wir versuchen, ein positives Judentum dem nichtjüdischen Umfeld weiterzugeben, beispielsweise in der Aufklärungsarbeit." So versuche man Wissen über jüdische Feste und Kultur zu vermitteln und lade auch zu Feiern und Konzerten ein. "Wir haben ein offenes Haus, eine offene Synagoge, vor allem in Graz, wo die räumlichen Gegebenheiten das auch erlauben."
"Antisemitismus wird unterschätzt"
In Graz, wo es nach Wien die zweitgrößte jüdische Gemeinde Österreichs gibt, wurde Rosen im August 2020 auf offener Straße körperlich attackiert. Der Angriff selbst habe zwar auf sein Engagement und den Alltag relativ wenig Einfluss genommen, aber die Sicherheitsmaßnahmen rund um die Synagoge seien seither deutlich verstärkt worden, berichtete Rosen.
Dass sich Jüdinnen und Juden auf den Straßen Europas wieder zunehmend unsicher fühlten, habe auch zu einer größeren Achtsamkeit und einer deutlich stärkeren Betroffenheit geführt. Durch die historischen Fakten und die Erfahrungen der Shoah, mit der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten, sei man besonders sensibilisiert. "Ich glaube, dass der Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft deutlich unterschätzt und vielleicht auch zu wenig wahrgenommen wird und dementsprechend wird dem auch zu wenig entgegengetreten", so Rosen.
"Tag des Judentums"
Die Kirchen in Österreich begehen seit mehr als 20 Jahren den "Tag des Judentums" zum Gedenken an die jahrhundertelange Geschichte der Vorurteile und Feindseligkeiten zwischen Christen und Juden und zur Entwicklung und Vertiefung des christlich-jüdischen Gesprächs. Das Christentum ist von seinem Selbstverständnis her wesentlich mit dem Judentum verbunden. Damit dies den Christen deutlicher bewusst wird, hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) im Jahr 2000 den 17. Jänner als besonderen Gedenktag im Kirchenjahr eingeführt. Dabei sollen sich die Christen in besonderer Weise ihrer Wurzeln im Judentum und ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden.
(Radiotipp: Das Interview mit Elie Rosen hören Sie in der Reihe "Perspektiven" am 16. Jänner um 17.30 Uhr auf radioklassik.at)
Quelle: kathpress